Der Herr der Stimme

Götz Schade ist der erste Professor für Stimm-, Sprach- und Gehörstörungen an der Universität Bonn - Selbst beim Opernbesuch ist der Arzt ganz Fachmann

Der Herr der Stimme
Foto: Lannert

Bonn. Götz Schade faszinieren Stimmen. Wenn er auf eine Party geht, sind es vor allem die klanglichen Eigenheiten der Gäste, die ihm im Gedächtnis bleiben.

Der erste Professor für Stimm-, Sprach- und Gehörstörungen an der Universität Bonn war während seiner Hamburger Zeit auch schon ehrenamtlich Theaterarzt. Seit einem Jahr leitet er die neu eingerichtete Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie an der Uniklinik Bonn. In der Oper ist der Arzt ganz Fachmann: Schade fiebert beim dreigestrichenen "f" der Königin der Nacht aus Mozarts Zauberflöte mit.

Schafft es die Sängerin, den Ton klar und rein zu treffen? Schade berichtet von "emotionaler Spannung", die er dabei erlebt. Bei bestimmten Stimmen verspüre er sogar ein "wohliges Prickeln auf der Haut".

Nimmt der Musikfreund in seinem schwarzen Ledersessel in der HNO-Klinik auf dem Venusberg Platz, interessieren ihn jedoch vor allem drei Fragen: Was kann zur Schädigung einer Stimme führen? Wie kann man diese diagnostizieren? Was gibt es für Therapiemöglichkeiten? "Viereinhalb Mitarbeiter" - ein Ingenieur arbeitet halbe-halbe für die HNO-Klinik und Schade - und eine Fülle von Diagnosegeräten helfen dem Professor dabei, dies zu klären.

"Die menschliche Stimme funktioniert nach dem Prinzip einer Orgelpfeife", erklärt er. Die Luft werde mit einem Blasebalg (Lunge) durch ein Ventil (Kehlkopf) gepresst und in Schwingung versetzt. Schade holt einen grauen Koffer hervor. "Das ist ein sehr teures Instrument", sagt er und öffnet den Deckel. Es handelt sich um ein Endoskop - einen wenige Millimeter dicken, flexiblen Schlauch, der durch die Nase in den Kehlkopf eingeführt wird.

Eine winzige Kamera an der Spitze zeichnet auf, was es dort zu sehen gibt. Bei Schade ist das Endoskop oft im Gebrauch - wenn jemand vorbeikommt, der nicht bei Stimme ist. "Ein Lehrer war seit Monaten krank geschrieben, weil er nur noch flüstern konnte", berichtet Schade. Der Stimmforscher blickte durch sein Endoskop und entdeckte eine halbseitige Lähmung der Stimmlippen. Der Arzt spritzte dem Patienten eine gel-artige Flüssigkeit in die betroffene Stimmlippe, die dadurch voluminöser wurde.

Anschließend schlossen beide Stimmlippen wieder besser - die Stimme des Lehrers war wieder kräftig. Schade führt seinen Patienten die Videos vor, die er vorher mit dem Endoskop aufgezeichnet hat. "Sie können dann besser verstehen, was mit ihnen los ist, und welche Therapien ich beginnen möchte." Der "mündige Patient" soll also mitreden können.

Häufig kommt es zur Heiserkeit, weil laut Schade unbemerkt Magensäure aufsteigt und den Kehlkopf reizt. Reizhusten und Luftnotattacken sind dann weitere mögliche Folgen. "Rauchen, Kaffee, Alkohol, Tomaten und Schokolade führen zu dieser Reflux-Krankheit", erläutert der Professor. Er versucht zunächst, die Patienten zu einer gesünderen Ernährung anzuhalten. Außerdem helfen Tabletten, die die Produktion der Magensäure reduzieren.

In zwei verschiedenen Gängen der HNO-Klinik sind verschiedenste Untersuchungszimmer angeordnet, in denen die Patienten nicht auf Herz und Nieren, sondern auf Gehör, Sprache und Stimme geprüft werden. Auch Sprachheillehrer sind beteiligt, wenn die Patienten etwa zu gepresst sprechen oder stottern. "Sprachliche Entwicklungsauffälligkeiten von Kindern rühren häufig von Schwerhörigkeit her", berichtet Schade.

Mit modernsten Diagnosegeräten kann er die Hörschwelle bereits bei Neugeborenen bestimmen. "Diese Tests sollte man nicht erst mit Drei- oder Vierjährigen durchführen", sagt er. "Je früher Schwerhörige mit Hörgeräten versorgt werden, um so größer ist ihre Chance auf eine normale Entwicklung." Schade versetzt die Babys und Kinder in einen Tiefschlaf, damit Muskelbewegungen nicht die empfindliche Untersuchung stören.

Elektroden am Kopf der Patienten messen die Hirnströme, durch einen Kopfhörer tönen gleichzeitig Klickgeräusche in verschiedenen Lautstärken. "Wenn ein Klick ertönt, muss sich das auch an den Hirnströmen bemerkbar machen", sagt Schade. "Ansonsten ist das Gehör eingeschränkt."

Ob mit der Ortung von Schallquellen alles in Ordnung ist, testet Schade in einem bizarr anmutenden Raum. Gelblichbraune Zacken aus Fasermatten ragen als eigenartiges architektonisches Element aus den Wänden sowie der Decke heraus, die den Schall fast komplett unterbinden. Eine Holzbrücke spannt sich über ein Drahtgitter auf dem Boden. Rundherum sind viele Lautsprecher aufgestellt.

Schade spricht, doch man hört fast nichts. Ohne Isolierung würde das Echo die Untersuchungstöne überlagern. Die HNO-Uniklinik und die Phoniatrie seien sehr gut aufgestellt, sagt Schade. Der Bedarf für sein bislang nicht repräsentiertes Fach ist offensichtlich da - über einen Mangel an Patienten kann der "Herr der Stimme" sich jedenfalls nicht beklagen. "Der Ansturm ist groß."

Informationen unter www.hno.uniklinik-bonn.de

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