James D. Bindenagel Der Henry-Kissinger-Stiftungsprofessor über seine neuen Aufgaben

BONN · Der Amerikaner James D. Bindenagel soll der erste Inhaber der umstrittenen Henry-Kissinger-Stiftungsprofessur an der Universität Bonn werden. Was denkt der frühere hohe Diplomat über seine Aufgabe? Was plant er? Im Interview gibt er Auskunft.

Die Stiftungsprofessur ist auf fünf Jahre geplant. Sie sind der Lehrstuhlinhaber zunächst nur für das erste. Was haben Sie in diesem Jahr vor?
James D. Bindenagel: Ich habe die schöne Möglichkeit, hier etwas neu aufzubauen; das ist fantastisch. Meine Aufgabe wird sein, die Rolle der Diplomatie für Konfliktprävention und Konfliktlösung aufzuzeigen.

Was genau bedeutet Ihre Aufgabenstellung "Governance und internationale Sicherheit"?
Bindenagel: Dass es nicht nur um reine Rechtsfragen geht, sondern auch um Diplomatie. Sie ist nicht deckungsgleich mit dem Völkerrecht, sie ist ein Instrument des Völkerrechts. Das ist das Neue: Es geht auch um die Praxis.

Im Mittelpunkt Ihrer akademischen Arbeit sollen also diplomatische Fragen stehen?
Bindenagel: Die Hauptfrage soll sein: Wie gewähre ich Sicherheit? Die Diplomatie dient der Verhinderung von Konflikten, oder, wenn sie ausgebrochen sind, ihrer Lösung. Solche Dinge gilt es in die akademische Arbeit zu heben. Hier kann ich meine 30 Jahre Erfahrung als Diplomat einbringen. Thema ist: Wie kann die Lösung des einen Konflikts kommende Konflikte verhindern? Das gilt etwa für den Streit zwischen China und Japan um die Senkaku-Inseln - und für den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine.

Was würde eine "diplomatische Wissenschaft" in der Ukraine-Krise bewirken können?
Bindenagel: Wladimir Putin hat in der DDR als KGB-Offizier gedient, als ich dort an der amerikanischen Botschaft war - und der jetzige russische Botschafter in Deutschland Wladimir Grinin war damals ebenfalls dort. Wir haben gemeinsame Erlebnisse. Wir können auf dieser Basis versuchen, einander besser zu verstehen. Danach können wir einen Weg finden, über gemeinsame Interessen ins Gespräch zu kommen.

Kann eine Universität dazu tatsächlich etwas beitragen?
Bindenagel: Zumindest auf der akademischen Seite, ja. Wir denken etwa darüber nach, auf einer wissenschaftlichen Konferenz Mechanismen der Krisenprävention in Ostasien mit denen in Osteuropa zu vergleichen. Wir denken auch darüber nach, die Botschafter Russlands und der USA zu Gesprächen einzuladen.

Sich in die Gegenseite eines Konfliktes einzufühlen - das ist auch beim aktuellen Streit um die Henry-Kissinger-Professur geboten. Es kann durchaus sein, dass plötzlich Demonstranten vor dem Hörsaal stehen. Was machen Sie dann?
Bindenagel: Ich habe 1983 die große Demonstration gegen die Pershing-Raketen im Bonner Hofgarten miterlebt. 300.000 oder 400.000 Leute, und ich mittendrin. Demonstrationen sind OK. Viel besser ist aber, wenn man ins Gespräch kommt und voneinander lernt. Dazu ist ein Lehrstuhl da.

Henry Kissinger als Person - haben Sie ihn kennengelernt?
Bindenagel: Ich kenne ihn seit Langem. Ich habe von seiner diplomatischen Erfahrung viel gelernt - auch wenn ich mit seinen Entscheidungen nicht immer übereingestimmt habe. Beeindruckend fand ich, dass er immer gesagt hat: Man braucht verschiedene Möglichkeiten! Manche funktioniert nicht - aber wenn man immer nur eine einzige Option hat, etwa die militärische, dann beschränkt man sich selbst. Dass man immer verschiedene Optionen braucht - das genau ist strategisches Denken.

Wird es Teil der Professur sein, solche politischen Überlegungen auf konkrete Konflikte der Gegenwart anzuwenden?
Bindenagel: Ja. Wir überlegen, ein regelmäßiges Kolloquium für Studenten über aktuelle Fragen einzurichten. Junge Leute haben gute Ideen. Ich kann da selber noch viel lernen. Ich freue mich darauf.

Einer ihrer Aufsätze heißt "Peacebuilding - Germany's Military Mission". Das erinnert an die Aufforderung von Bundespräsident Joachim Gauck, Deutschland möge sich international intensiver engagieren. Auch das ist hierzulande umstritten...
Bindenagel: Das ist immer das Schöne, wenn Amerikaner und Deutsche miteinander reden. In Amerika versuchen wir zu einem Konsens zu kommen; in Deutschland hat man noch dieses Hegel'sche Entweder-oder-Denken. Das Interessante ist, dass man ja diskutieren kann: Was genau heißt "Internationale Sicherheit", "militärisches Eingreifen" oder "Nichteinmischung"? Was kann man tun, um Frieden zu stiften, ohne Krieg zu führen? Am Ende sollte man alle Möglichkeiten zumindest durchdacht haben - auch die militärischen. Denken Sie an Friedrich den Großen, der gesagt hat: "Diplomatie ohne Waffen ist wie ein Orchester ohne Instrumente". Man muss ernst genommen werden. Auch das ist Teil der Diplomatie.

In Deutschland rühren solche Überlegungen an Urängste. Krieg gegen Russland? Niemals, niemals, niemals!
Bindenagel: Es geht nicht darum, zu den Waffen zu greifen. Es geht darum, Putin zu verstehen. Er hat sich des ethnischen Nationalismus bedient. Dieses Phänomen muss man historisch untersuchen. Man sieht dann weltweit: Wenn man Nationalismus auf einer solchen Basis aufbaut, gerät das immer zum Desaster. Also müssen wir den Russen verständlich machen, dass so etwas gegen ihre eigenen Interessen ist. Die Rolle der Diplomatie ist, das anzusprechen - zum Beispiel auch zwischen den Studenten verschiedener Nationen.

Demnächst werden Sie also Professor in Bonn sein. Was denken Sie über Bonn als Stadt?
Bindenagel: Ich habe mit Unterbrechungen sechs Jahre in Bonn gelebt, am Rhein, in Mehlem. Radfahren, viel Musik, das Beethovenhaus - wirklich schön! It's an honor to be a Bonner, und ich fühle mich bis heute mit Bonn verbunden. Aber das Wichtigste ist: Bonn ist vernetzt! Es ist nicht von Berlin ins Abseits geschoben worden. Die Bundesregierung ist immer noch sehr präsent, und es gibt vor allem die Universität. Ich möchte ein wenig daran mitwirken, dass diese Universität einen weiteren Beitrag zu dieser Vernetzung leisten kann. Wenn das gelingt, bin ich sehr zufrieden.

Zur Person

James D. Bindenagel, Jahrgang 1949, gilt als führender Experte für transatlantische Beziehungen mit einem besonderen Fokus auf dem deutsch-amerikanischen Verhältnis, das er aus langjähriger eigener Anschauung kennt. Er blickt auf rund 30 Jahre Erfahrung im diplomatischen Dienst der Vereinigten Staaten von Amerika zurück. Er war für das US-State Department tätig sowie für US-Konsulate und Botschaften. Von 1996 bis 1997 amtierte er als US-Botschafter in Deutschland.

Bindenagel begleitete das Ende des Kalten Krieges, den Fall der Mauer und die deutsche Wiedervereinigung im diplomatischen Dienst der USA. Dabei war er an wichtigen Entscheidungen westlicher Sicherheitspolitik beteiligt. Als maßgeblicher Diplomat verhandelte er die Entschädigung der Zwangsarbeiter während des Nationalsozialismus, die Washingtoner Prinzipien über die von Nationalsozialisten konfiszierten Kunstwerke und das Abkommen über den „Kimberley-Prozess“, das dazu dient, den Handel mit so genannten „Blutdiamanten“ zu unterbinden. 2001 wurde der Diplomat vom Bundespräsidenten mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

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