Tagung im Universitätsclub Das Problem mit den Gefühlen

Bonn · Autismus: Diagnose oder Eigenschaft? Diese Frage stand im Fokus der Wissenschaftlichen Tagung Autismus Spektrum im Universitätsclub Bonn. Mehr als 200 nationale und internationale Experten diskutierten zwei Tage lang in Workshops und Vorträgen.

 Kümmern sich um Weiterbildung von Experten: Christine Freitag (links) und Tagungspräsidentin Judith Sinzig.

Kümmern sich um Weiterbildung von Experten: Christine Freitag (links) und Tagungspräsidentin Judith Sinzig.

Foto: Sebastian Flick

Von Ärzten über Psychologen und Therapeuten bis zu Pädagogen waren alle Fachgruppen vertreten. "Es besteht ein hoher Weiterbildungsbedarf unter Experten: Je besser sie aufgeklärt sind, desto bessere Diagnosen sind möglich", sagte Christine Freitag, Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kinder- und Jugendalters an der Goethe-Universität Frankfurt.

Als Kinder- und Jugendpsychiaterin beschäftigt sich Freitag mit Autismus als Diagnose, dabei wird zwischen zwei Arten unterschieden: der frühkindliche Autismus und das Asperger-Syndrom. Während bei Ersterem 25 Prozent der Betroffenen eine geistige Behinderung aufweisen, ist beim Asperger-Syndrom eine überdurchschnittlich hohe oder mindestens durchschnittliche Intelligenz vorhanden.

Qualitative Schwächen in den Bereichen der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie eingeschränkte und stereotype Aktivitäten zeichnen den Autismus aus. Ein weiteres Merkmal ist die Einschränkung in der Interpretation von Gefühlen. "Dass Autisten gar nichts spüren, ist falsch. Sie fühlen wie andere Menschen, können sich nur schwer ausdrücken und schwer verstehen, wie sich ein anderer Mensch fühlt, beispielsweise warum er traurig ist oder warum er weint", erklärt Freitag.

Ein allgemeiner Anstieg der Autismus-Diagnosen führte dazu, dass vereinzelt bereits von der "Modeerscheinung Autismus" gesprochen wird. Viele Betroffene hätten noch gar nicht erkannt, dass sie die Diagnose haben, so Freitag. Bundesweit ist mittlerweile ein Prozent der Bevölkerung betroffen. In allen Fällen wird Autismus als tief greifende Entwicklungsstörung im Kindesalter diagnostiziert.

"Sobald bei Kindern ein Verdacht auf Autismus besteht, ist eine fachärztliche kinder- und jugendpsychiatrische Untersuchung notwendig", sagte Judith Sinzig, Chefärztin der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der LVR-Klinik Bonn. Autismus lasse sich bereits ab einem Alter von 18 Monaten feststellen. Sinzig betonte, wie wichtig es sei, Kinder früh untersuchen zu lassen. "Ratsam ist es auch, dass Lehrer sich fortbilden und mit ihrem Wissen Kinder frühzeitig in die Klinik schicken", so Sinzig. An Autismus leidende Kinder werden häufig von Mitschülern gehänselt, ohne den Grund zu verstehen, oder suchen auf dem Schulhof nicht den Kontakt zu Gleichaltrigen.

Bei vielen Menschen kommt es aber auch vor, dass sie die Schulzeit erfolgreich abgeschlossen haben und erst im Erwachsenenalter ein Autismus diagnostiziert wird. Auch da gibt es laut der Expertinnen sehr unterschiedliche Typen: Rund zehn Prozent aller erwachsenen Autisten müssen mit keinerlei Einschränkungen in ihrem Alltag leben.

Die meisten Autisten können aber ihren Alltag nicht alleine bewältigen und sind - beispielsweise beim Einkaufen - stets auf Unterstützung angewiesen. Die dritte Gruppierung arbeitet in Werkstätten für Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung. Autismus ist nicht heilbar, dennoch ist es wichtig, dass die Diagnose von Fachärzten gestellt wird: "Wir können durch die Förderung Alltagssituationen der Betroffenen verbessern", sagte Sinzig.

Beratung und Behandlung

Die LVR-Klinik Bonn verfügt über eine Spezialambulanz für Kinder und Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Erkrankungen, in der rund 500 Kinder im Jahr betreut werden. Neben einer standardisierten Diagnostik werden Gruppentherapien angeboten, in denen die Kinder soziale Fähigkeiten und das Erkennen von Gefühlen erlernen.

Zudem bietet die Klinik eine individuelle Elternberatung und eine Elterngruppe zur Psychoedukation an. Anmeldungen sind über das Sekretariat der LVR-Klinik, Rufnummer 0228/551-2850 möglich.

Weitere Infos im Internet unter www.klinik-bonn.lvr.de.

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