Das Märchen vom "Designer-Baby"

Bonner Humangenetiker Peter Propping spricht sich für strenge Auflagen bei Erbgut-Checks von Embryonen aus - Im Uni-Club diskutierte er über Chancen und Risiken des umstrittenen Verfahrens

Bonn. Die erst wenige Tage alten Embryonen schwimmen im Reagenzglas. Der Angestellte des Gen-Labors jagt die Erbinformation der potenziellen Erdbewohner durch den Computer; die Noch-nicht-Eltern sitzen daneben und präsentieren ihre Wünsche. Frage Nummer eins: Junge oder Mädchen?

Und dann geht es erst richtig zur Sache. Keine blauen Augen? Weg damit! Dunkles Haar? Ab in den Müll! Unsportlich? Raus aus der Petrischale! Wenn alle Embryonen ge- (oder besser ver-)lesen sind, wandern die meisten in den Ausguss - und der übriggebliebene als künftiges Designer-Baby in den Bauch der stolzen Mutter.

So oder ähnlich sieht sie aus, die breite Vorstellung der Öffentlichkeit von der "Präimplantationsdiagnostik" (PID) - zumindest stellt es manches Massenmedium so dar.

Verlässlichere Auskunft geben Fachleute wie der Bonner Wissenschaftler Peter Propping, Chef des Uni-Institutes für Humangenetik und Mitglied im Nationalen Ethikrat. Bei einem Vortrag im Uni-Club erläuterte er Chancen und Risiken des in Deutschland verbotenen Verfahrens.

Der Forscher räumte dabei mit so mancher Legende auf. Zuallererst mit dem Märchen vom Baby nach Maß: Dabei könne die PID kaum behilflich sein. "Es gibt da nur geringe Freiheiten: Der Embryo kann ja nicht andere Gene haben als seine Eltern." Auch werde zwar das Erbgut der Noch-nicht-Säuglinge untersucht - es sei aber unmöglich, detailgenau vorherzusagen, woran der Mensch nach der Geburt erkranken werde.

"Man muss wissen, wonach man sucht", so Propping. Nicht erkennen kann PID zum Beispiel eine etwaige Veranlagung für Diabetes, Alzheimer, Epilepsie, Schizophrenie oder Allergien - sie werden von vielen verschiedenen Faktoren ausgelöst, möglicherweise auch von äußeren Einflüssen.

Finden lassen sich nur ganz bestimmte Erbkrankheiten, von denen gesichert ist, dass sie von einem (und nur einem) konkreten Gen herrühren. Eine dieser Krankheiten ist die "Duchenne-Muskeldystrophie" - eine schwere, erbliche Form von Muskelschwund. Frauen können das Auslöser-Gen besitzen und weitergeben, aber nur bei Männern bricht die Krankheit aus.

Propping berichtet von einer jungen Frau, die ihn um Rat bat: Sie wünscht sich Kinder, hat aber einen Bruder, der von Duchenne betroffen ist. Der 18-Jährige sitzt seit sieben Jahren im Rollstuhl und wiegt nur noch 24 Kilo. "Er hat quasi keine Muskulatur mehr, ist nur noch Haut und Knochen", so Propping. "Er sagte mir: ''Ich kann verstehen, dass meine Schwester sich das für ihre Kinder nicht wünscht.''"

Propping untersuchte die junge Frau und musste ihr mitteilen, dass auch sie das Gen der Krankheit in sich trägt: Falls sie Söhne bekäme, läge das Risiko für jeden bei 50 Prozent. Nur die PID könnte klären, ob ein konkreter Embryo betroffen wäre.

Dafür müsste die junge Frau aber über die Grenze nach Maastricht fahren: In den Niederlanden ist die PID erlaubt. Der Forscher plädiert dafür, sie unter strengen Auflagen auch in Deutschland zuzulassen - auch, um solchen Klinik-Tourismus zu verhindern.

"Ich bin froh, dass ich meine Kinder nicht in dieser Zeit bekommen habe", kritisiert eine Zuhörerin in der Diskussion, die auf Proppings Vortrag folgt. "Uns fehlt heute die Demut vor dem Leben - dass man sagt: Auch ein behindertes Kind hat ein Recht darauf." Propping stimmt ihr zu. "Jede Frau muss das Recht haben, diese Möglichkeiten nicht in Anspruch zu nehmen. Aber wenn sie sagt: ''Ich kann meinem Kind diese Krankheit nicht zumuten'' - dann kann ich als gesunder Mensch nicht antworten: ''Doch, Sie können!''" Die Gesellschaft müsse mit einem Pluralismus der Einstellungen leben.

Eine Meinungsvielfalt, die schon bei der Frage herrscht, was denn eine unerträgliche körperliche Schwäche sei und was nicht. So sei eines Tages ein blindes Paar zu ihm gekommen, erzählt Propping. Die beiden wollten wissen, wie hoch das Risiko sei, dass ihr Kind vom Down-Syndrom betroffen wäre. Sehr gering, beruhigte er - und fragte, ob sie auch das Risiko für Blindheit des Kindes wissen wollten. "Beide sagten: ''Ach, Blindheit ist so harmlos, da brauchen wir nicht drüber zu reden.''"

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