Das Ende der Fledermäuse im Schlosskeller

Die Geheimnisse der nächtlichen Flattertiere werden an der Bonner Universität seit rund 30 Jahren entschlüsselt

Bonn. Die Mayas haben sie verehrt, im asiatischen Kulturraum gelten Fledermäuse bis heute als Glücksboten, für Europas Mönche im Mittelalter waren sie hingegen Teufelstier und Hexenbegleiter, und selbst heute sind sie manchen Leuten nicht ganz geheuer. Vorstellungen von hässlichen blutsaugenden Monstern, die sich in den Haaren verkrallen, überwiegen. "Die Angst ist unbegründet. Nichts davon stimmt", sagt Biologe Tom Wegner.

Vor allem trifft es nicht auf die rund 20 in Deutschland heimischen Arten zu, die nützliche Insektenfresser sind wie etwa die in Bonn vorkommenden Zwerg- und Wasserfledermäuse. Rund 80 dieser Tierchen, die bis zu 30 Jahre alt werden und kleiner als ein Eselhuf sind (Spannweite allerdings bis 25 Zentimeter), bevölkern im Untergeschoss das Poppelsdorfer Schloß - zusammen mit 120 Brillenblattnasen und 40 Kleinen Lanzennasen.

Die ersten dieser tropischen Flattermänner hat Professor Uwe Schmidt vor gut 30 Jahren aus Mexiko mitgebracht. Seitdem dienen sie den Sinnesphysiologen am Institut für Zoologie der Universität Bonn als Versuchstiere. Doch lange wird des Kurfürsten Clemens August Lustschloss nicht mehr ihre Heimat sein, denn in drei Jahren wird Schmidt emeritiert, seine Stelle im Rahmen des so genannten Qualitätspakts gestrichen. Es naht der Schlusspunkt hinter drei Jahrzehnte Fledermausforschung an der Bonner Uni.

Diese weltweit einzigartige Forschung mit immer der gleichen Kolonie hat eine Fülle von neuen Erkenntnissen über die "multimodale Orientierung" der nächtlichen Flattertiere gebracht. Denn sie sind nicht, wie noch häufig behauptet, blind und ihr Echolot ist auch nicht dem der U-Boote vergleichbar. Diese sensiblen Kobolde der Nacht können mit ihren Augen vielmehr sehr gut sehen und mit ihren Ohren hören. Zusätzlich haben sie einen Geruchssinn sowie ein hochentwickeltes Ultraschall-Echoortungssystem, die Vampirfledermäuse zudem einen Thermosinn, mit dem sie durchblutete Hautareale - ihre "Nahrung" - finden.

"Alle diese Sinne spielen in einem System zusammen", sagt Wegner, der sich in seiner Doktorarbeit allein auf die Analyse der Rufe bei Lärm konzentriert, aber mit seinen Versuchen noch nicht so weit ist, um sagen zu können, ob nun die Dauer der Rufe, ihre Lautstärke oder der Frequenzaufbau entscheidend ist. Sicher ist jedoch, dass die Fledermaus sich durch die Geräusche der Umwelt - Wasserfall, Wind, raschelnde Blätter - per Echo "durchfindet" wie ein Sänger, der merkt, dass er durch das Orchester nicht durchkommt und dann seine Stimme verändert.

Oder wie es Menschen tun, wenn sie einen lärmerfüllten Raum betreten: Sie sprechen lauter. "Das tut auch die Fledermaus", sagt Wegner. "Aber nicht so, wie wir es erwarten würden, sie redet nämlich nicht laut in den Frequenzbereichen des Störsignals, und sie redet auch nicht generell lauter; sie nimmt vielmehr mehr Energie in ihren Ruf hinein, aber verteilt den geschickt auf die Obertöne." Der Trick ist (noch) nicht vollends durchschaut.

Andere Experimente konzentrieren sich auf das Auge. "Schon haushälterisch ist es für Fledermäuse sinnvoll, gut sehen zu können", sagt Wegner. Denn die Rufe der Fledermaus auf ihrem Jagdflug sind energiereich. "Das sind richtige kleine Presslufthämmer, die da mit 120 Dezibel und mehr durch die Luft jagen." Nur per Echolot zu navigieren, wäre zu anstrengend und würde mehr Energie verbrauchen, als das Tier via Nahrung erwirbt.

Die Versuche von Kirsten Hessel in ihrer Doktorarbeit, bei denen sie die Augenbewegungen der Fledermäuse aufnahm, während die Tiere bei zunehmend weniger Licht einem Papierstreifen mit Strichmuster folgen sollten, zeigen, dass die Fledermaus zu einem Zeitpunkt, wo Hessel längst nichts mehr wahrnahm, immer noch sehr gut sehen konnte. Andere Experimente stützen die These, dass einige Arten eher dem Licht als der Echoortung folgen; bei ihnen existiert ein "akustischer Augenwinkel".

Derzeit gibt es Probleme bei der Nahrungsbeschaffung. BSE- und MKS-bedingt wird auf dem Bonner Schlachthof weniger geschlachtet. Das bedeutet: weniger Blut. Da jede Vampirfledermaus etwa ein Schnapsglas Blut pro Tag leckt, werden für die Bonner Kolonie täglich etwa eineinhalb bis zwei Liter Blut benötigt. Weil der rote Saft kaum Nährstoffe enthält, können Fledermäuse Reserven nur für 48 Stunden aufbauen. Deshalb helfen sie sich untereinander. Wegner: "Tiere, die kein Blut abbekommen haben, betteln erfolgreich andere an, die dann einen Teil des Blutes wieder hervorwürgen und die Kollegen durchfüttern."

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