Bonn soll Vorreiter in der Hirnforschung werden

Universität und Land planen neuartiges Forschungszentrum - Wissenschaft und Industrie sollen gemeinsam Therapien entwickeln

Bonn. Die Uniklinik Bonn könnte bald ein Vorreiter in Sachen molekularer Hirnforschung sein. Die Professoren Otmar D. Wiestler, Direktor des Instituts für Neuropathologie, und Christian E. Elger, Chef des Epilepsie-Zentrums, planen ein vollkommen neuartiges Zentrum. Wiestler: "Bonn soll der Nucleus eines nordrhein-westfälischen Exzellenzzentrums für Hirnforschung werden."

Es gibt dringenden Forschungsbedarf für wirksame Therapien zur Behandlung von Gehirn- und Rückenmarksdefekten. So lassen sich bei einem Schlaganfall abgestorbene Hirnzellen auch heute noch nicht ersetzen, Parkinson und Multipler Sklerose stehen Mediziner ebenfalls weitgehend machtlos gegenüber.

Die Idee für das Zentrum kam aus Düsseldorf. Gerade hatte sich die renommierte Bonner Hirnforschung anlässlich der "Dekade des menschlichen Gehirns" bei einer Gala auf dem Petersberg vorgestellt, da meldete sich Hartmut Thomas bei Wiestler und Elger, den Köpfen des Bonner Neurozentrums. Der für Forschungsförderung zuständige Referatsleiter im NRW-Wissenschaftsministerium erklärte ihnen seine Vision neuartiger Forschung.

Die beiden Institutsdirektoren haben inzwischen zusammen mit Forschungsförderer Thomas ein umfangreiches Konzept für das Projekt erstellt, das den Namen "Life & Brain" trägt. "Was wir vorhaben, ist kliniknahe Hirnforschung auf höchstem Niveau in interdisziplinärer Kooperation mit den vorhandenen Gruppen an der Universität", umreißt Wiestler das Ziel.

Die Besonderheit: Das bei rund 150 chirurgischen Eingriffen an Epilepsie-Patienten entfernte kranke Gewebe dient Untersuchungen in der Neuropathologie. Wiestler: "Hier bietet sich die einmalige Möglichkeit, am Patienten und an dem entnommenen Gewebe zu forschen, um Krankheiten auf die Spur zu kommen."

Als weitere "Bonner Stärken" nennt er die Erforschung von genetischen Ursachen für psychiatrische Krankheiten sowie Versuche, defekte Zellen des Nervensystems zu ersetzen. Dazu nutzen die Forscher embryonale Stammzellen, die für Therapiezwecke in alle Gewebe- und Zelltypen ausreifen können. Zur Entwicklung neuartiger Behandlungsmethoden forschen die Wissenschaftler außerdem intensiv an gentherapeutischen Möglichkeiten, um den Veränderungen in Tumorzellen und den Ursachen des erblichen Krebses auf die Spur zu kommen.

Das geplante Exzellenzzentrum soll sich daher der Genomanalyse, der Wiederherstellung defekter Gehirnfunktionen und der Erforschung von Gehirnleistungen widmen. So verfolgt Elger das Ziel, aus dem Hirnstrombild eines Epilepsie-Patienten Veränderungen abzuleiten, die auf einen nahenden Anfall hinweisen. Medikamente könnten dann den Hirnschlag unterdrücken.

Den Kerngruppen ordnen sich zwölf Nachwuchsgruppen zu, in denen junge Wissenschaftler über fünf Jahre hinweg forschen. Das Neue dabei: Die Entwicklungsabteilungen von Konzernen sollen unter einem Dach mit den Uni-Forschern neue Medikamente und medizinische Geräte entwickeln. "Die akademische Forschung hat Zugang zu klinischem Material, etwa Hirngewebe von Patienten, und klinischen Daten, die Firmen liefern die Finanzspritzen und den Zugang zum industriellen Know-how", erläutert Wiestler die geplante Zusammenarbeit, die in den USA längst erfolgreich praktiziert werde.

Das Forschungszentrum soll direkt neben der Neurochirurgie und dem neuen Gebäude für Epileptologie auf dem Venusberg entstehen. Es wird sich zwar nicht an der Krankenversorgung beteiligen, aber doch enge Verbindungen zur Uniklinik halten. Das zeigt sich schon daran, dass das Klinikum Bonn als Gesellschafter der als GmbH konzipierten Einrichtung auftritt. Laut Uni-Rektor Klaus Borchard will sich die Hochschule "in den nächsten Jahren mit bis zu acht Millionen Mark pro anno" an den Kosten beteiligen. Als ein weiterer Gesellschafter steht laut Wiestler bereits der Bayer-Konzern fest.

Je 35 Millionen Mark werden die Gebäude und die Erstausstattung mit Forschungsgeräten kosten. Die Hälfte der Summe soll aus dem Fonds des Bonn-Berlin-Ausgleichs bestritten werden. Die Bauten werden als Investorenprojekt im Leasingverfahren errichtet, wofür laut Wiestler das Land die Leasinggebühren übernimmt. Nach wie vor ungeklärt ist aber die Frage, wie die laufenden Kosten von geschätzt jährlich etwa 14,5 Millionen Mark finanziert werden können. Wiestler hofft auf Bundesmittel für Großforschungseinrichtungen. Den Startschuss für Life & Brain muss jetzt der Koordinierungsausschuss geben, der über die Vergabe der Ausgleichsmittel bestimmt.

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