Auf einmal hatte Thomas zu nichts mehr Lust

Psychotische Störungen entwickeln sich meist schleichend - Ärzte der Bonner Uniklinik behandeln die Krankheit bereits im Vorfeld

Bonn. Bis vor zwei Jahren war der 19 Jahre alte Thomas (Name geändert) ein Mensch wie viele andere auch. Doch seither hat er sich irgendwie verändert: Er zieht sich immer mehr zurück, liegt oft tagelang auf dem Bett und hat zu nichts mehr Lust. Die Umwelt kommt ihm seltsam verändert vor, die Farben greller als normal - er fühlt sich, als lebe er in einem Film. Auch konzentrieren kann er sich kaum noch, seine Leistungen in der Schule haben deutlich nachgelassen. Auf andere wirkt er misstrauisch, empfindlich, ängstlich. Thomas ist in Gefahr - in Gefahr, an einer "Psychose" zu erkranken.

Der medizinische Fachbegriff meint keine diffuse Verrücktheit, wie der Laie denkt, sondern konkret eine mehr oder weniger ausgeprägte Störung des Realitätsbezuges: wahnhafte Verkennungen der Wirklichkeit bis hin zu Halluzinationen. Immerhin einer von hundert Menschen ist betroffen - weltweit, nicht etwa nur in der Wohlstandswelt. Betroffene müssen sich häufig mit Vorurteilen herumschlagen, beispielsweise: "Wer keine Probleme hat, macht sich welche."

Möglichst frühe Therapie

Der Krankheit wollen sich die Mediziner der Bonner Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie auf dem Venusberg entgegenstemmen: Sie haben das "Zentrum für Beratung und Behandlung bei erhöhtem Psychoserisiko" (ZeBB) ins Leben gerufen. "Das Neuartige ist, dass die Erkrankung bereits im Vorstadium erkannt und behandelt wird", sagt Professor Wolfgang Maier, Direktor der Klinik. "Derzeit findet die erste Behandlung meist erst nach Beginn der schweren Symptomatik statt."

Bis zu fünf Jahre können zwischen den ersten Symptomen und dem Ausbruch der Psychose vergehen. Weil die jedoch bei frühzeitiger Behandlung sehr wirksam beeinflusst werden kann, haben die Experten des ZeBB eine " Checkliste" zusammengestellt: 17 Fragen helfen auch dem Laien, herauszufinden, ob er am Anfang des dunklen Tunnels steht, aus dem zu entkommen später so schwerfällt. Wer sich betroffen fühlt, den beraten die ZeBB-Experten. Wenn tatsächlich die Gefahr einer Psychose gegeben ist, erarbeiten sie für ihn ein Behandlungsangebot.

Wo genau die Ursachen psychotischer Erkrankungen liegen, ist noch weitgehend unklar. Die Forscher wissen nur, dass eine verminderte Ausschüttung von Botenstoffen im Gehirn ihr Entstehen begünstigt. Auch erbliche Faktoren spielen eine Rolle: Verwandte von Menschen mit Psychosen erkranken zehn Mal häufiger als andere Menschen. Stressfaktoren im Alltag können dann zum Auslöser werden. Eine der Therapiemethoden des ZeBB ist daher, dass die Betroffenen lernen, sich gegen solchen Stress zu wehren.

Eine von mehreren Möglichkeiten der Psychose ist etwa die Depression: "Der Mensch lebt von positiver Verstärkung", erläutert der leitende Oberarzt Peter Falkai. Wer gut gelaunt sei, leiste gute Arbeit, sei mit sich selbst zufrieden und deshalb wiederum gut gelaunt. Depressive Menschen geraten in eine Abwärtsspirale: Schlechte Stimmung führt zu Antriebslosigkeit und geringerer Arbeitsleistung. Wenn''s dann Ärger mit dem Chef gibt, fühlt der Betroffene sich noch schlechter.

"Die therapeutische Kunst ist, diesen Teufelskreis zu durchbrechen", sagt Falkai. "Hirn und Geist brauchen die Möglichkeit zu positiver Anregung. Es dürfen keine negativen Gedankenströme mehr fließen." Dazu lernen die Patienten, auf Stress-Attacken nicht mehr mit Verhaltensmustern zu reagieren, die alles nur noch schlimmer machen - etwa, aus Angst vor den Mitmenschen nicht mehr vor die Tür zu gehen. Solche Muster zu erkennen, kann auch eine Hilfe für Angehörige und Freunde sein. In ihrer Hilflosigkeit schaden sie sonst mehr als sie nützen, beispielsweise mit kontraproduktiven Sätzen wie: "Lass'' dich doch nicht immer so hängen!"

Nach Erscheinen der ersten Symptome wie bei Thomas entwickelten bislang 30 Prozent der Betroffenen tatsächlich das Vollbild der Psychose. Wie stark eine frühe Behandlung dem entgegen wirkt, lässt sich noch nicht sicher sagen, weil Angebote wie das ZeBB erst seit kurzem existieren. Falkai ist aber zuversichtlich: "Vorerfahrungen legen nahe, dass es möglich ist, das Risiko auf zehn Prozent zu drücken."

ZeBB - Zentrum für Beratung und Behandlung bei erhöhtem Psychoserisiko am Institut für Medizinische Psychologie der Universität Bonn, Sigmund-Freud-Straße 25, 53 105 Bonn. Tel: (02 28) 28 76 302

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