Aids-Viren sind die reinsten Verwandlungskünstler

Viele Medikamente, die den Ausbruch der tödlichen Krankheit verzögern, sind nach einiger Zeit unwirksam, weil die Viren unempfindlich werden - Kölner und Bonner Forscher sind diesen Resistenzen auf der Spur

Bonn. Sie ist eine Geißel der Menschheit: Die Immunschwächekrankheit Aids breitet sich weiterhin mit raschem Tempo aus. Derzeit leben rund 42 Millionen Menschen auf der Welt mit dem HI-Virus, davon 39 000 in Deutschland. Dieses Jahr haben sich etwa 2 000 Deutsche neu angesteckt.

Zwar ist die Zahl der Infizierten in der Bundesrepublik nicht gesunken, aber seit 1995 kann ein Rückgang der Fälle, bei denen Aids voll ausgebrochen ist, beobachtet werden - dank immer besserer Behandlungsmöglichkeiten. Und auch die Todesrate - dieses Jahr schätzungsweise 600 in Deutschland - ist gesunken und jetzt relativ stabil.

Doch der Kampf gegen das Virus ist nicht gewonnen. HI-Viren sind die reinsten Verwandlungskünstler: Ihr Erbgut mutiert rasch. Dabei entstehen auch Virenstämme, die unempfindlich gegenüber den bislang gefundenen Medikamenten sind. "Damit ist HIV in der Lage auf sein neues Umweltproblem, nämlich das Medikament, zu reagieren. Es kann eine Resistenz gegen das Medikament ausbilden", erklärt Rolf Kaiser vom Institut für Virologie der Universität Köln.

Eine bisher erfolgreiche Therapie versagt also nach einiger Zeit bei dem Patienten. Mehr Klarheit soll das Projekt "Analyse von Resistenzmutationen bei HIV" (AREVIR) bringen, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird. Weitere Projektleiter sind die Bioinformatiker Daniel Hoffmann vom Forschungsinstitut Caesar in Bonn und Joachim Selbig vom Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie in Golm bei Potsdam.

HI-Viren bedienen sich menschlicher Zellen, um sich zu vervielfachen. Einmal in die Zelle eingedrungen, baut das Virus seine Erbinformation in den Zellkern ein. So zwingt es die Zelle, Virusbestandteile zu produzieren. Hier greifen Anti-HIV-Medikamente an: Sie blockieren ein viruseigenes Enzym, das Vorgänge in Zellen steuert oder erst ermöglicht, und verhindern so, dass sich das Virus vermehrt. Andere Medikamente unterbinden, dass neu gereifte Viruspartikel infektiös werden.

"Wir entschlüsseln schon relativ gut die Erbinformation im Virus. Aber diese zu interpretieren, die Resistenzbildung zu begreifen und daraus die richtige individuelle Therapie für jeden Patienten zu ermitteln - das war der Kerngedanke unseres Projektes", sagt Kaiser. Zwar werden im Genom verschiedener Virenstämme derzeit deutlich vorhandene Erbgutveränderungen - so genannte Mutationen - erkannt, aber es gibt unzählige, die auch untereinander wechselwirken können. So ist eine Aussage über mögliche Resistenzen sehr schwierig. "Das ist wie eine fremde Sprache, deren Buchstaben man zwar lesen, aber nicht verstehen kann", erklärt Kaiser.

Um alternativ dazu Rückschlüsse auf Resistenzen zu ziehen, werden die Viren angezüchtet und einem Medikament ausgesetzt. "Das ist so eine Art Patientenmodell auf Zellkulturebene", sagt Hoffmann. So wird im Reagenzglas eine abnehmende Wirkung des Medikaments auf die Zellkultur erkennbar.

Wie aber hängen das Erbgut des Virus und die jeweiligen Resistenzen gegenüber Anti-HIV-Medikamenten zusammen? Für eine Vorhersage, wie ein Medikament auf einen neuen Virus wirken könnte, verfügen die Forscher allein über 600 bis 800 für Resistenzen bedeutsame Erbgut-Ausschnitte verschiedener Viren samt den dazugehörigen Zellkulturdaten. Zum Durchsuchen solcher Datenlabyrinthe sind moderne Rechner geradezu prädestiniert. Dazu entwickelten die Bioinformatiker im Rahmen des AREVIR-Projektes Computerprogramme, die genau auf die Fragestellung passen.

"Dabei gingen wir ganz nah an das Experiment heran und konnten so viele Anforderungen aus der Praxis berücksichtigen", erzählt Hoffmann. In enger Zusammenarbeit zwischen Virologen und Bioinformatikern entstand das Vorhersageprogramm "geno2pheno": Mit ihm können die Kölner Virologen jetzt schon täglich für einen Patientenvirus vorhersagen, welche Resistenzen vorliegen und welche Medikamente bei dem Betroffenen noch wirken können. Mit dieser Information kann der Arzt eine geeignetere Therapie für seinen Patienten entwickeln.

All diese Vorhersagen beziehen sich aber nur darauf, wie Medikamente bei einem bestimmten Virusstamm auf eine Zellkultur wirken. "Wir wollen aber keine Zellkulturen therapieren, sondern Menschen", sagt Hoffmann. "Zu einer noch besseren Optimierung des Therapieerfolgs brauchen wir also viele klinische Daten von Patienten."

Deshalb entwickelten die Forscher am Fraunhofer-Institut für Algorithmisches und Wissenschaftliches Rechnen in Sankt Augustin eine AREVIR-Datenbank, in der bereits virologische und klinische Daten von 4500 Patienten erfasst sind. Außerdem gründeten die Projektleiter mit anderen Bioinformatikern, Virologen und Klinikern den gemeinnützigen Verein "Gesellschaft für nachhaltige Forschung" (Genafor). Somit ist der Wissenschaft der freie Zugang zu den Ergebnissen von AREVIR dauerhaft gesichert.

Die Internetseite www.genafor.org führt zum Vorhersageprogramm "geno2pheno".

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