Was Corona mit psychischen Krankheiten macht Ängstlich, gestresst und reizbarer

Bonn · Professorin Alexandra Philipsen, Direktorin der Psychiatrie an der Bonner Uniklinik, spricht über die seelischen Folgen der Corona-Krise

 Alexandra Philipsen

Alexandra Philipsen

Foto: Tatjana Dachsel/UKB/Tatjana Dachsel

Die Corona-Krise hat viele Facetten. Die Kontaktbeschränkungen und ihre Folgen sind Teil davon. Wie sich die Beschränkungen auf die psychische Gesundheit auswirken, erlebt und erforscht die Chefärztin der Psychiatrie der Bonner Uniklinik, Alexandra Philipsen. Über die Verarbeitung der Krise in der Gesamtbevölkerung, bei ihren Patienten sowie die Besonderheiten bei Menschen mit bereits in der Kindheit erlebten Traumata sprach die Professorin mit Bettina Thränhardt.

Der Shutdown ist noch nicht lange her, Kontaktbeschränkungen gibt es immer noch. Wie haben sich nach Ihrem Eindruck die Maßnahmen auf die Psyche ausgewirkt?

Professorin Alexandra Philipsen: In der Gesamtbevölkerung hat der Shutdown zu Stress, Niedergestimmtheit und einer Art Depressivität geführt. Manche Menschen sind reizbarer, es gibt Hinweise, dass die häusliche Gewalt zugenommen hat. Zunächst gab es Studien aus China, die darauf hinwiesen, dass es unter Covid-19 zu Angst, Stimmungsverschlechterung und einer reduzierten Lebenszufriedenheit auch bei Menschen kommen kann, die bislang als psychisch gesund galten. Auch in Deutschland wurden Untersuchungen gestartet, hier zeichnen sich ähnliche Trends ab.

Sie sind Chefärztin der Psychiatrie. Wie ging es den Patienten mit den Beschränkungen?

Philipsen: Interessanterweise waren einige Patienten anfangs gefasster als manch andere Menschen, die ich in meinem Umfeld erlebt habe.

„Was für alle ausgesprochen schwierig war, war für unsere Patienten noch viel schwieriger“

Wie lässt sich das erklären?

Philipsen: Das ist jetzt eine rein klinische Beobachtung und bislang nicht datengestützt. Zahlreiche Menschen mit psychischen Erkrankungen litten bereits vor Sars-CoV-2 unter Depressionen, Ängsten und eingeschränkten sozialen Kontakten, und plötzlich glich sich das an. Dieses „Jetzt geht es allen gleich“, damit nicht mehr allein zu sein, hielt allerdings nicht lange an. Im Verlauf der Beschränkungen hat sich das deutlich gedreht. Bestehende psychische Erkrankungen haben sich aus unterschiedlichen Gründen noch mehr verstärkt. Wir bemerken jetzt gerade nach den Lockerungsmaßnahmen wieder eine zunehmende Inanspruchnahme der Unterstützung. Was für alle ausgesprochen schwierig war, war für unsere Patienten noch viel schwieriger.

Welche Faktoren spielen da eine Rolle?

Philipsen: Das soziale Miteinander, die Kommunikation und Interaktion waren eingeschränkt, wir waren isolierter. Mit vielen Patienten haben wir während des Shutdowns Kontakt über Video oder Telefon gehalten, und manche haben gesagt, sie sind wirklich froh, wenigstens diesen einen Termin zu haben. Bei vielen kommt noch die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes hinzu, die Sorge um die eigene Gesundheit oder die der Familie sowie schlicht neue alltagsorganisatorische Herausforderungen der Kinderbetreuung. Welche Faktoren in welcher Gewichtung letztendlich für die Beeinträchtigung des psychischen Befindens ursächlich sind, kann aktuell noch nicht beantwortet werden.

„Was auch zugenommen hat, ist der Suchtmittelkonsum“

Wer nimmt jetzt Unterstützung in Anspruch? Sind das auch Menschen, die bislang nicht klinisch auffällig von psychischen Erkrankungen betroffen waren, oder vor allem Menschen mit psychischen Erkrankungen in der Vorgeschichte?

Philipsen: Beides. Es sind auch Menschen dabei, die vorher kompensiert durchs Leben gingen und jetzt zunehmend Schwierigkeiten haben.

Sie erwähnten schon Depressionen. Welche Krankheitsbilder sind denn noch von der Corona-Krise befördert worden?

Philipsen: Leider ist es so, dass einige Patienten mit Psychosen aus Angst vor Ansteckung nicht mehr zu den Kontrollterminen gekommen sind oder ihre Medikamente nicht mehr genommen haben. Dadurch hat sich ihre Erkrankung verschlechtert. Was auch zugenommen hat, ist der Suchtmittelkonsum. Patienten mit Alkoholproblemen trinken leider oftmals dann mehr, es kommt zu mehr Rückfällen.

Derzeit sind wir in der Phase von Lockerungen, was bewirkt das? Man könnte sich ja vorstellen, dass das auch Ängste hervorruft ...

Philipsen: Die meisten sind recht erleichtert darüber. Sie können wieder nach draußen gehen, können einen Kaffee trinken gehen und wieder jemanden besuchen.

Sie untersuchen, wie Menschen mit einem Trauma durch die Corona-Krise kommen. Welche Hypothesen haben Sie?

Philipsen: Unsere Studienteilnehmer haben in ihrem Leben bereits furchtbarste Dinge erlebt, manche haben schwerste Kindheitsbiografien. Da haben wir uns gefragt: Macht es das für die Menschen leichter oder schwerer, diese aktuelle Situation zu ertragen? Einige haben uns berichtet: „Wissen Sie, ich habe so viel in meinem Leben erlebt – dieses Covid, das krieg ich jetzt auch noch hin.“ Unsere Vermutung ist, dass einige von diesen Menschen leichter durch die aktuelle Krise kommen als Menschen ohne schwerste Traumata in ihrer Biografie.

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