Projekt Polycare Überwachung wie im Krankenhaus

BONN · Fraunhofer-Institut und Uni-Klinikum wollen chronisch Kranke zu Hause besser versorgen. Dafür soll nun das von der Europäischen Kommission geförderte Projekt Polycare sorgen, das sich gerade in der Entwicklung befindet.

 In Zukunft sollen Armbänder laufend die Daten der Patienten erheben. Der Mensch greift erst ein, wenn es medizinisch nötig erscheint. FOTO: DPA

In Zukunft sollen Armbänder laufend die Daten der Patienten erheben. Der Mensch greift erst ein, wenn es medizinisch nötig erscheint. FOTO: DPA

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Zu Hause ist es immer noch am Schönsten. Und für chronisch Kranke auch in der Regel am erholsamsten. Doch eine adäquate langfristige häusliche Krankenpflege, bei der die Patienten ein größtmögliches Maß an Selbstständigkeit bewahren und durch die Aufzeichnung ihrer Vitalwerte nicht übermäßig eingeschränkt werden, bedarf eines gut vernetzten Systems. Dieses soll nun das von der Europäischen Kommission geförderte Projekt Polycare entwickeln, an dem auch das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT) in Sankt Augustin und das Universitätsklinikum Bonn beteiligt sind.

Zusammen mit Partnern aus Spanien und Frankreich wollen die Forscher in einem Feldversuch ein Zusammenspiel von Sensoren und Datenbanken testen, bei dem der Patient im Mittelpunkt steht und zugleich eine ebenso gute Überwachung wie in einem Krankenhaus gewährleistet wird. Eine Win-Win-Situation – und zwar eine mit exzellenten Erfolgsaussichten.

„Wir sind schon jetzt weiter als wir sein müssten“, sagt Dr. Yehya Mohamad, der beim FIT das Projekt leitet. „Eigentlich gibt es schon alle relevanten Komponenten, wir müssen sie eigentlich nur neu kombinieren und bündeln.“ Ein Optimierungsprozess, der auf drei Jahre angelegt ist. „Wir werden in den ersten 15 Monaten das System entwickeln und dann mit zwei Studien zu je drei Monaten prüfen, ob alles so funktioniert, wie wir uns das vorstellen.“ Dabei werden sich die Forscher zunächst einmal auf Herz- und Lungen-erkrankungen konzen-trieren, auch wenn das Polycare-System mittelfristig für so viele Krankheitsbilder wie möglich zum Einsatz kommen soll.

Kern des Projekts ist dabei ein Brust- beziehungsweise Armband, das ähnlich wie moderne Smartwatches unter anderem Hauttemperatur, Herzfrequenz, Atemaktivität und (beim Brustband) Lungenvolumen misst. Parallel dazu sollen bestehende Systeme, die viele Patienten ohnehin schon in ihren Alltag integriert haben, einbezogen werden. Sie alle sollen die Daten via Bluetooth und Internet an eine gigantische Datenbank übermitteln, wo komplexe Algorithmen sie bewerten und im Notfall Alarm schlagen. „Zum Beispiel werden wir auch feststellen können, ob sich ein Patient bewegt“, skizziert Mohamad ein mögliches Szenario. „Wenn er läuft, erhöht sich automatisch der Puls – aber wenn dies geschieht, obwohl der Betroffene über längere Zeit liegt, sollte mal ein Pfleger vorbeischauen.“

Sollte Polycare wie geplant funktionieren, würde dies die Krankenhaus-Aufenthalte chronisch Kranker drastisch reduzieren – ein Vorteil für die Patienten ebenso wie für das Gesundheitssystem. „Immerhin reden wir von enormen Kosten, die durch die Belegung der Betten in Krankenhäusern entstehen“, sagt Mohamad. „Wenn wir diese reduzieren können und dabei gleichzeitig die Lebensqualität der Patienten steigern, haben alle gewonnen.“

Allerdings muss dafür unter anderem sichergestellt sein, dass die sensiblen Patienteninformationen, die mit den Sensoren gemessen und verschickt werden, nicht missbraucht werden. „Daher ist der Datenschutz auch einer der Kernpunkte unseres Projekts“, bekräftigt Mohamad. „Die persönlichen und die medizinischen Daten werden getrennt voneinander gespeichert und auch versendet, insgesamt haben nur sehr wenige Menschen Zugriff auf den kompletten Datensatz. Wir arbeiten da auch eng mit den Ethikkommissionen der Krankenhäuser und den Datenschutzbeauftragten zusammen, um größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten.“

Wann genau das gesamte Polycare-System der breiten Masse zur Verfügung stehen wird, kann und will Yehya Mohamad bei aller Zuversicht nicht sagen. „Es gibt so viele verschiedene Elemente, die ineinandergreifen müssen, dass ich mich mit derartigen Vorhersagen sehr zurückhalte“, sagt er mit Blick auf seine 17-jährige Erfahrung beim FIT. Allerdings: „Bislang war es bei derartigen Projekten eigentlich immer so, dass im Verlauf dieser Machbarkeitsstudie zumindest einige Teile die Marktreife erlangen werden, während andere vielleicht noch zusätzliche Studien benötigen.“

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