Forschungszentrum Jülich Teilchen für alle

JÜLICH · Das Forschungszentrum Jülich entwickelt ein Konzept für eine neuartige Neutronenquelle. Sie soll kompakter und für viele Experimente völlig ausreichend, mit denen man sonst auf größere Anlagen ausweichen müsste, die kaum Kapazitäten haben.

 Die Neutronenquelle im Modell: Wie bei einem Billardspiel werden die Teilchen im violetten Teil beschleunigt und dann über einen sogenannten Multiplexer (grün) zum Ziel geleitet. FOTO: FORSCHUNGSZENTRUM JÜLICH/MLZ

Die Neutronenquelle im Modell: Wie bei einem Billardspiel werden die Teilchen im violetten Teil beschleunigt und dann über einen sogenannten Multiplexer (grün) zum Ziel geleitet. FOTO: FORSCHUNGSZENTRUM JÜLICH/MLZ

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Festkörper-Physik, Biochemie, Ingenieurswissenschaften, Geologie, selbst Archäologie: All diese Forschungszweige setzen zunehmend auf Neutronen, jene elektrisch neutralen Teilchen in Atomkernen, die in freiem Zustand einzigartige Einblicke in das Innere von Materie ermöglichen und unter anderem Auskunft über die magnetischen Eigenschaften der Stoffe geben. Allerdings sind die derzeit vorhandenen Neutronenquellen begrenzt, befinden sich entweder noch im Bau (wie die European Spallation Source ESS im schwedischen Lund) oder stehen wie bei mehreren Forschungsreaktoren kurz vor der Abschaltung.

Das Forschungszentrum Jülich möchte dem entgegenwirken und entwickelt derzeit ein Konzept für eine neuartige Neutronenquelle, die mittelgroße Anlagen ablösen soll. „Der Bedarf an diesen atomaren Teilchen ist enorm, kann aber derzeit nicht in ausreichendem Maße gedeckt werden“, erklärt Professor Sebastian M. Schmidt, Mitglied des Vorstands des Forschungszentrums Jülich und Koordinator der deutschen Beiträge für die Planungsarbeiten an der ESS.

„Wir brauchen zwar ohne Zweifel gigantische Anlagen wie die in Lund, die knapp zwei Milliarden Euro kosten wird, weil nur dort Experimente mit hochenergetischen Teilchen durchgeführt werden können. Gleichzeitig ist die Kapazität der ESS aber begrenzt, maximal 22 Projekte werden gleichzeitig laufen können. Mit kleineren und somit kostengünstigeren Anlagen würden auch Wissenschaftler zum Zuge kommen, die sonst übergangen werden müssten.“

Möglich wird eine entsprechende Skalierung von Neutronenquellen dadurch, dass laut Konzept weder auf eine reaktortypische Kettenreaktion noch auf eine Spallation gesetzt wird. „Sie müssen sich das wie bei einem Billardspiel vorstellen“, erklärt Professor Thomas Brückel, Direktor des Jülich Centre for Neutron Science. „Sie schießen ein Teilchen auf einen Atomkern, aus dem dadurch zum einen Nukleonen herausfliegen und zum anderen der verbleibende Rest instabil ist. Bei einer Spallation nutzen Sie als Ziel ein Schwermetall wie Blei mit großen Atomen – das ist sehr effizient, erzeugt aber auch hohe Strahlungswerte.“

Also braucht man eine entsprechende Abschirmung. „Richtig. Großer Aufwand, große Maschine. Wir wollen stattdessen Leichtmetall-Targets wie Beryllium mit Deuteriumatomen beschießen. Dadurch bekommen wir zwar pro Beschuss weniger freie Teilchen, aber auch eine deutlich geringere Strahlung. Für viele Experimente reicht das aus.“ Und die Anlagen werden entsprechend kleiner.

„Etwa um den Faktor 10“, bestätigt Brückel. „Auch die Kosten sind besser zu händeln: Theoretisch wäre eine solche Neutronenquelle schon für ungefähr zehn Millionen Euro denkbar, sinnvoll und realistisch gedacht kommen wir immer noch auf etwa 30 Prozent der Kosten derzeit führender Quellen.“

Kompakter, für viele Experimente völlig ausreichend und, wie Professor Schmidt betont, ohne den sonst üblichen radioaktiven Abfall: Es ist kein Wunder, dass die internationale Forschergemeinschaft sehr genau auf das Jülicher Konzept schaut. „Partner in Frankreich, Spanien und Italien haben bereits Interesse angemeldet, etwa um Instrumentenvorschläge zu machen“, sagt Schmidt.

Doch noch sind die Jülicher nicht so weit. „Wir haben jetzt den ersten wichtigen Schritt in der Machbarkeitsstudie getan. Wir werden nun sicherlich noch fünf Jahre an der Konzeption arbeiten, um mögliche Unklarheiten zu beseitigen. Danach kommt eine Studie zur technischen Machbarkeit, und dann erst kann über die Finanzierung gesprochen werden.“

Ein langer Prozess. „Ja, aber das ist normal“, erklärt Brückel. „Wir haben immerhin eine Verantwortung gegenüber der Bevölkerung.“ Gute Forschung braucht eben ihre Zeit. Und natürlich ihre Vorbereitung.

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