Gastbeitrag I Technik ist weder gut noch böse

Technik ist integraler Bestandteil menschlicher Praxis und trägt gleichermaßen zur Humanisierung der Lebenswelt und Verwirklichung humaner Werte bei wie zu zerstörerischem und exploitativen Verhalten gegenüber Mensch und Natur.

Wenn wir auf Spuren unserer frühesten Vorfahren stoßen, begegnen uns Menschen, die über spezifische Formen von Technik verfügen. Formal ist Technik der regelgeleitete Umgang mit natürlichen und künstlichen Ordnungen. Sie ist eine soziale Praxis und gehört neben Sprache, Bildung und Arbeit zur sogenannten zweiten Natur des Menschen.

Technik erweitert die Handlungsspielräume von Menschen und ist in diesem allgemeinen Sinn eine Funktion von Autonomie. Sie bestimmt unsere Denk- und Vorstellungsweisen. Technik kann aber auch Sachzwänge erzeugen, die menschliches Handeln einschränken und Autonomie verhindern.

Als solche ist Technik trivialerweise weder gut noch böse. Sie ist integraler Bestandteil menschlicher Praxis und trägt gleichermaßen zur Humanisierung der Lebenswelt und Verwirklichung humaner Werte bei wie zu zerstörerischem und exploitativen Verhalten gegenüber Mensch und Natur. Die kulturelle Aufgabe besteht darin, einen Zustand für die jeweiligen Formen der Technik zu erreichen, in dem die Vorteile gegenüber den Nachteilen deutlich überwiegen.

Dies ist etwa im Zuge der Massenproduktion von Autos verfehlt worden. Sollte es möglich sein, diese Fehlentwicklung technisch zu korrigieren, könnte das ein Beitrag zur Humanisierung der Lebenswelt sein – anders als derzeit von Ministerien und Autoindustrie nahegelegt wird, zeichnet sich ein solches Szenario jedoch nicht ab.

Viele Formen der Technik haben sich mittlerweile weit von der menschlichen Hand entfernt. Für neue Formen von Mensch-Maschine-Verhältnissen wird mittlerweile der Ausdruck „autonome Technik“ verwendet. Die Rede davon ist äußerst fragwürdig, weil die Grenzen zwischen personaler Autonomie und komplexen Mechanismen verdeckt werden. Der inflationäre Gebrauch von „autonom“ unterhöhlt insofern Autonomie.

Menschen können sich autonom und zurechenbar verhalten

Normative Quellen von Zwecken und Autonomie sind allein natürliche Personen. Sie handeln dann aus Gründen, die sie rechtfertigen und anderen Personen erklären können. Technische Systeme sind keine Akteure im Spiel des Gebens und Nehmens von Gründen.

Über Entwicklung, Einsatz und Betrieb von Technik entscheiden auf prinzipiell zurechenbare Weise einzelne Personen – in der Regel zusammen mit anderen. Sie tragen der Sache nach die ihrer Beteiligung entsprechende moralische Verantwortung. Dieser Sachverhalt wird leicht übersehen, weil Konstruktion und Betrieb technischer Systeme mittlerweile in hohem Maße arbeitsteilig organisiert sind.

Mensch-Maschine-Verhältnisse müssen in ihren vielfältigen Erscheinungsformen so ausgelegt werden, dass sie Erweiterungen menschlichen Handelns sind. In der Perspektive von kulturellen Erweiterungen gewinnen Assistenzsysteme Vorrang vor hoch- oder vollautomatisierten Systemen.

Für den Einsatz technischer Verfahren müssen kulturelle Ziele formuliert werden, die im gemeinschaftlichen Interesse liegen – wie etwa Friedenssicherung, medizinische Versorgung, Umweltschutz oder sichere Transportwege. So sind technische Systeme integrale Bestandteile der Entwicklung der zweiten Natur des Menschen.

Professor Dieter Sturma ist Direktor des Instituts für Wissenschaft und Ethik an der Uni Bonn.

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