Gastbeitrag II Technik ist gut und böse zugleich

Frankensteins Monster, das seinen Schöpfer tötet oder das Computernetzwerk der Matrix, das die gesamte Menschheit unterjocht – Schöpfungen des Menschen, die sich gegen ihn erheben, sind ein beliebtes Thema nicht nur in der fantastischen Literatur.

Die alte, aber immer wieder neu zu stellende Frage, was Technologien anzurichten vermögen, geht deshalb in den letzten Jahren vermehrt an die technisch autonomen Systeme, vom selbstfahrenden Automobil bis hin zur bewaffneten Drohne im Kriegseinsatz.

Befördert wird diese Diskussion vor allem durch die exponenziell zunehmenden Fähigkeiten von Hard- und Software. Öffentlichkeitswirksame Niederlagen von Schach-Weltmeistern und Go-Großmeistern gegen Computerprogramme wie Deep Blue beziehungsweise AlphaGo lassen Befürchtungen aufkommen, der Mensch sei ein Auslaufmodell, das demnächst durch Intelligenzen auf Silikon-Basis abgelöst werde.

Aber ist das tatsächlich so? „Gut“ und „böse“ sind ethische Begriffe, mit denen die Handlungen autonomer Lebewesen beurteilt werden. Autonomie bedeutet somit die Fähigkeit, sich eigenständig Ziele zu setzen und die Mittel zu ihrer Erreichung selbst zu wählen. Es sind also die Zielsetzungen und die Art deren Durchsetzung, die mit gut oder böse zu belegen sind. Technische Autonomie ist im Vergleich dazu ein stark eingeschränkter Begriff, der stets eine spezielle Fähigkeit in Bezug auf festgelegte Problemstellungen beschreibt.

Kein selbstfahrendes Automobil wird zum Dichter werden

Technisch autonome Systeme werden für spezielle Aufgaben konstruiert, und sie können ausschließlich diese ausführen. Kein selbstfahrendes Automobil wird je auf den Gedanken kommen, lieber in seiner Garage zu bleiben, um ein Gedicht zu schreiben.

Anders ausgedrückt: Kein heutiges technisches System ist ein autonomes Geschöpf, das sich individuelle Ziele setzen und entsprechende Mittel frei wählen könnte. Die Expertenmeinungen, ob die Schaffung einer solchen „starken künstlichen Intelligenz“ überhaupt möglich sei und, falls ja, wie lange es bis dahin noch dauere, gehen weit auseinander.

Heutige technisch autonome Systeme sind daher allesamt Werkzeuge, geschaffen für menschengewollte Zwecke und eingesetzt nach menschlichem Ermessen. Die im Titel enthaltene Frage „Gut oder böse?“ muss deshalb mit „Gut und böse!“ beantwortet werden – was im Übrigen für jedes Werkzeug gilt. Wir, die Schöpfer dieser Technologien, können uns nicht mit dem Hinweis, ein technisches System sei böse, unserer Pflicht entziehen. Es ist ausschließlich unsere ethische Verantwortung, ob wir gute oder verwerfliche Zwecke verwirklichen wollen.

Unsere Technologie schafft uns neue, mächtige Hilfsmittel, die uns helfen, die zunehmend komplexer werdenden Lebensbedingungen zu beherrschen. Sie bergen sowohl gewaltige Möglichkeiten als auch große Risiken.

Müssen wir also Angst vor den autonomen Systemen haben? Ich denke, nein. Sollten wir uns Gedanken über sie machen? Auf alle Fälle, ja – und zwar umso früher und intensiver, je größer ihre vor-aussichtlichen Potenziale sind.

Professor Michael Lauster leitet das Fraunhofer-Institut für Natur-wissenschaftlich-Technische Trendanalysen in Euskirchen.

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