Kultur und Ethik in der Medizin Neuer Name für Institut am Uniklinikum Bonn

Bonn · Das „Institute for Medical Humanities“ an der Uni Bonn ist bislang deutschlandweit einzigartig. Durch die Namenänderung soll den veränderten Anforderungen Rechnung getragen werden.

 Professorin Mariacarla Gadebusch-Bondio leitet das ehemalige Medizinhistorische Institut.

Professorin Mariacarla Gadebusch-Bondio leitet das ehemalige Medizinhistorische Institut.

Foto: Thomas Kölsch

Mariacarla Gadebusch-Bondio ist zufrieden. Sehr zufrieden. Endlich spiegelt der Name ihres Instituts am Universitätsklinikum Bonn auch das wider, was inhaltlich schon seit einigen Jahren gelehrt, erforscht und gelebt wird. „Institute for Medical Humanities“ heißt es nun, nicht länger „Medizinhistorisches Institut“.

Eine Formalie, möchte man meinen. Doch hinter der Umbenennung, auf die die Philosophin und Medizinhistorikerin seit ihrer Berufung vor zwei Jahren hingearbeitet hat, steckt mehr. „Sie erlaubt uns eine erhöhte Sichtbarkeit“, erklärt Gadebusch-Bondio im Gespräch mit dem General-Anzeiger.

„In der Vergangenheit war die Medizingeschichte der einzige geisteswissenschaftliche Aspekt in der Ausbildung angehender Ärzte, doch mit der Approbationsordnung von 2002 änderte sich dies. Auf einmal waren auch ethische Fragen relevant oder die Darstellung der Medizin in Literatur und Kunst. Mit all dem beschäftigen wir uns inzwischen, und daher finde ich es essenziell, dass diese Vielfalt auch in der Bezeichnung des Instituts deutlich gemacht wird.“

Englischer Name weil „Humanwissenschaften“ zu kurz griffe

Daher auch der englische Name. „Eine Umbenennung ist ein relativ aufwendiger bürokratischer Akt, der durch verschiedene Kommissionen und Gremien geht. Immer wieder wurde dabei die Frage gestellt, ob es nicht auch eine deutsche Variante gäbe. Doch wir haben nie eine gefunden. “Humanwissenschaften„ greift einfach zu kurz. Wir kümmern uns immerhin um sämtliche geisteswissenschaftlichen Dimensionen in der Medizin.“

Nun ist Gadebusch-Bondio zuversichtlich, dass ihr Institut auch auf internationaler Ebene vermehrt wahrgenommen wird. „Wir sind das erste in Deutschland, das diesen Namen trägt, abgesehen von einer Abteilung an der Charité in Berlin“, betont sie. „Aber ich garantiere Ihnen, es werden weitere kommen.“ Umso wichtiger sei es, von der Medizin ausgehend das enorme Potenzial der Bonner Universität mit der traditionell starken Philosophischen Fakultät zu nutzen.

„Wir gestalten derzeit bereits Seminare etwa mit den Kunsthistorikern und anderen Kulturwissenschaftlern, etwa über die Wahrnehmung und Darstellung von bestimmten Krankheiten und das Bild, das die Gesellschaft so davon gewinnt.“ Stichworte Syphilis und HIV: „Es geht unter anderem um Stigmatisierung. Das betrifft uns schließlich heutzutage ebenso wie in der Vergangenheit.“

Gadebusch-Bondio und ihre Mitarbeiter erforschen aber auch im Rahmen größerer, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderter Forschungsgruppen Themen wie sogenannte Evidenzpraktiken und Vigilanzkulturen. Dabei soll unter anderem geklärt werden, wie die überwachende Funktion des Arztes dank neuer Sensortechnologien mit dem Recht auf Privatsphäre und auf ein nicht durch und durch von der Medizin bestimmtes Leben in Einklang gebracht werden kann.

„Wichtig ist, ganz genau zu prüfen, wer wie und wozu welche Daten erhebt, um dann bestimmen zu können, ob und wie digitale Verantwortung getragen werden muss“, so Gadebusch-Bondio. „Derartige Fragestellungen interessieren auch andere medizinische Fachbereiche wie etwa die Nuklearmediziner: Bei ihnen müssen bestimmte onkologische Therapien individuell kalibriert werden, was wiederum bedeutet, dass evidenzbasierte, generalisierte Ergebnisse nicht vorliegen. Diese aber werden von den Krankenkassen für die Kostenerstattung gefordert.“

„Es geht bei uns nicht um eine richtige oder falsche Diagnose“

Ohnehin sind viele der ethischen und moralischen Herausforderungen, denen sich Mediziner täglich stellen müssen, wichtiger Bestandteil der „Medical Humanities“. Den Studierenden kommt zugute, dass sie sich innerhalb des Instituts mit derartigen Aspekten ihres späteren Berufs auseinandersetzen können. „Wenn sie zu uns kommen, atmen sie einmal tief durch, weil sie endlich einmal diskutieren und argumentieren dürfen und auch müssen“, so Gadebusch-Bondio.

„Es geht bei uns nicht um eine richtige oder falsche Diagnose, sondern um philosophische Fragestellungen, die letztlich mit dem Selbstverständnis und der Haltung eines Arztes eng verknüpft sind. Derartige Kompetenzen zum kritischen und selbstkritischen Denken haben daher eine wichtige Stellung in der gegenwärtig laufenden Umstrukturierung des Medizin-Studiums.“ Für die „Medical Humanities“ gibt es also auch in Zukunft genug zu tun, bestätigt Gadebusch-Bondio. „Uns gehen die Fragen sicherlich nicht so schnell aus.“

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