Janbernd Kirschner an der Uniklinik Bonn Neuer Experte der Neuropädiatrie hilft den Kleinsten

Bonn · Der 50-jährige Janbernd Kirschner ist Spezialist für Säuglinge, Kinder und Jugendliche mit Verletzungen, Fehlbildungen oder Erkrankungen des Gehirns, der Nerven oder der Muskeln. Der Professor forscht unter anderem zu Ursachen und Behandlung der Spinalen Muskelatrophie (SMA).

Wenn es dem eigenen Kind nicht gut oder sogar unbegreifbar schlecht geht, wünscht man sich wohl so jemanden wie Janbernd Kirschner, der einem die Situation verständlich macht. Die Gespräche mit den Eltern, in denen er sie ruhig und sachlich aufklärt, gehören zu den vielen Aufgaben des Mediziners. Das war bei seiner vorigen Station in Freiburg so und ist es an der Uniklinik Bonn (UKB) nach wie vor. Hier baut er seit Kurzem als Direktor die neue Abteilung für Neuropädiatrie auf.

Der 50-Jährige ist Spezialist für Säuglinge, Kinder und Jugendliche mit Verletzungen, Fehlbildungen oder Erkrankungen des Gehirns, der Nerven oder der Muskeln. Seit Jahren forscht er zu Ursachen und Behandlung der Spinalen Muskelatrophie (SMA). Bei dieser erblich bedingten Erkrankung, die etwa bei einem von 10.000 Neugeborenen auftritt, sterben spezielle Nervenzellen im Rückenmark, die sogenannten Motoneuronen, ab. So können Impulse vom Gehirn nicht mehr an die Muskulatur weitergegeben werden. Das führt zu einem fortschreitenden Abbau der Muskulatur. Typ 1, die schwerste und häufigste Ausprägung der Krankheit, beginnt schon im Säuglingsalter und endet oft tödlich durch Ersticken oder Atemlähmung. Es ist heutzutage die häufigste genetisch bedingte Todesursache im Kindesalter.

In Freiburg, wo Kirschner sowohl studiert als auch seine Facharztausbildung absolviert hat, leitete er Studien, die einen Beitrag zu der bereits 2017 in Deutschland erfolgten Zulassung des Medikaments Spinraza mit dem Wirkstoff Nusinersen leisteten. Es war die erste hierzulande verfügbare Therapie für SMA. „Es ist leider kein Allheilmittel für alle Patienten. Aber wenn wir die Säuglinge bereits vor den ersten Symptomen behandeln, sind die Ergebnisse beindruckend. Die Kinder zeigen dann eine fast normale Entwicklung“, erklärt der Professor.

Beispiel aus dem Breisgau

Er berichtet von einem Beispiel aus dem Breisgau: „Ein Mädchen, das wir ab den ersten Lebenswochen mit dem Wirkstoff behandelt haben, konnte im Alter von 19 Monaten frei laufen. Das wäre sonst völlig unmöglich.“ Die Eltern hatten ihre Tochter direkt nach der Geburt auf SMA testen lassen, weil bereits ihr erstes Kind damit auf die Welt gekommen war. Damit die Erkrankung möglichst früh erkannt werden kann, setzt sich der Neuropädiater dafür ein, das Neugeborenen-Screening in Deutschland um einen SMA-Test zu erweitern. Zudem hat er das internationale SMArtCARE-Register initiiert, um Verlaufsdaten von möglichst vielen SMA-Patienten unabhängig von der Therapie zu sammeln.

Bei der lebenslang notwendigen Therapie mit Nusinersen muss ein Arzt alle vier Monate das Mittel ins Nervenwasser, das das Rückenmark des Patienten umgibt, spritzen. Der Preis, den die Pharmaindustrie dafür veranschlagt hat, liegt laut Kirschner bei Hunderttausenden Euro pro Jahr. Deswegen hat es den verheirateten Vater von zwei erwachsenen Kindern auch nicht sonderlich überrascht, als Ende Mai die Nachricht aus Amerika kam: Die US-Medikamentenbehörde hat (wie berichtet) eine neue Gentherapie zugelassen, die Kindern mit SMA helfen soll. Die für die einmalige Behandlung erforderliche Einzel(!)dosis des Medikaments namens Zolgensma darf der Hersteller Novartis nun für umgerechnet rund 1,9 Millionen Euro anbieten.

Bei dieser jetzt in den USA verfügbaren Therapie bekommen die Patienten im Alter von bis zu zwei Jahren einmalig funktionsfähige Kopien des fehlerhaften Gens SMN 1 verabreicht. Zu den größten Risiken der Behandlung gehört laut Novartis eine Schädigung der Leber mit einem Anstieg bestimmter Leberenzyme. Der Hersteller bemüht sich derzeit um eine baldige Zulassung in Europa. Damit rechnet auch Kirschner, der das Medikament dann auch in Bonn einsetzen möchte. Zu den langfristigen Erfolgsaussichten kann der Neuropädiater noch nichts sagen. „Bisher wurden etwa 100 Kinder mit der Therapie behandelt, die ersten vor knapp fünf Jahren. Ob der Effekt ein Leben lang anhält, wissen wir natürlich noch nicht“, erklärt der Mediziner.

Forschung wirkt sich direkt aus

„Das Faszinierende an der Arbeit an einer Uniklinik ist für mich die Tatsache, dass sich die Forschung direkt auch auf die Versorgung der Patienten auswirkt“, sagt Kirschner. Letzteres geschieht nicht nur auf der Station, sondern auch im angegliederten Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ). Dessen Leitung hat Kirschner ebenfalls übernommen.

Im SPZ finden Säuglinge, Kinder und Jugendliche Hilfe, die wegen einer chronischen Erkrankung in ihrer Entwicklung gestört oder von einer Behinderung betroffen sind. Ein Team aus Ärzten, Psychologen, Logo-, Physio- und Ergotherapeuten sowie Sozialarbeitern bietet eine umfassende Diagnostik und berät über mögliche Behandlungsansätze. Darüber hinaus gibt es Hilfen für die ganze Familie des erkrankten Kindes, wie zum Beispiel für die mitbetroffenen Geschwister.

Derzeit befindet sich das SPZ noch im Aufbau – und soll bald umziehen, wie die Kinderklinik von der B9 hoch auf den Venusberg, wo derzeit das Eltern-Kind-Zentrum (kurz: Elki) entsteht. Kirschner freut sich, mit seinem Team diesen Service für Kinder und Jugendliche mit chronischen Erkrankungen weiter ausbauen zu können. „Neben den medizinischen Aspekten können wir dann auch den psychosozialen Problemen der Betroffenen die notwendige Aufmerksamkeit widmen“, sagt Kirschner.

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