Virtuelle Realität gegen Traumata Mit allen Sinnen gegen die Angst

SANKT AUGUSTIN · Wissenschaftler der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg wollen mit virtueller Realität Traumata behandeln. Dabei werden sie mit 130.000 Euro vom NRW-Wissenschaftsministerium gefördert.

 Mit einem Controller kann sich der Nutzer durch eine virtuelle Welt bewegen, in der alle Sinne angesprochen werden: ein landender Hubschrauber lässt den Sitz vibrieren, ein brennendes Auto erfüllt die Luft mit dem Geruch von verbranntem Gummi.

Mit einem Controller kann sich der Nutzer durch eine virtuelle Welt bewegen, in der alle Sinne angesprochen werden: ein landender Hubschrauber lässt den Sitz vibrieren, ein brennendes Auto erfüllt die Luft mit dem Geruch von verbranntem Gummi.

Foto: Andre Hinkenjann

Ein leichter Wind weht mir ins Gesicht. Ich höre leises Verkehrsrauschen. Als ich mich vorsichtig einen Schritt nach vorne taste, wackelt die Holzplanke, auf der ich stehe. Ich mache noch einen kleinen Schritt und kann nun vom Dach des Hochhauses in die Häuserschlucht hinunterschauen. Es kostet ein wenig Überwindung, denn die Szenerie wirkt real. Erst als ich die Virtual-Reality-Brille und die Kopfhörer abnehme, bin ich wieder ganz im Institut für Visual Computing der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg angekommen.

Eigentlich stehe ich nur auf einem schlichten Holzbrett. Dieses ist mit kleinen Sensoren ausgestattet, welche das Brett zum Vibrieren bringen. Dank der VR-Brille und eines Ventilators werde ich jedoch aus dem Büro des Instituts auf das Dach eines Wolkenkratzers katapultiert. Für Menschen mit Höhenangst wäre dies eine Situation, welche ihnen Schweißtropfen auf die Stirn treibt.

Seit etwa einem halben Jahr arbeiten Professor André Hinkenjann und Dr. Ernst Kruijff vom Instut für Visual Computing an einem neuen Projekt im Bereich der virtuellen Realität. Unterstützt werden sie dabei unter anderem von dem Masterstudenten Alexander Marquardt. Ziel des Forschungsprojektes ist es, mit virtueller Realität zur Therapie von Traumata oder Angstzuständen beizutragen. Die Wissenschaftler werden dabei mit 130.000 Euro vom NRW-Wissenschaftsministerium gefördert.

„Wir verfolgen den Ansatz, mit Konfrontationstherapie Traumata oder Phobien abzumildern“, erklärt Hinkenjann. „Der Vorteil daran ist, dass diese Form der Therapie in geschützter Umgebung stattfindet. Und ich kann die virtuelle Welt steuern und beeinflussen, aber damit trotzdem denselben Effekt erzielen.“

In den USA werden Traumata oder Phobien bereits mit VR-Techniken therapiert, jedoch nicht in der Form, wie es die Wissenschaftler von der H-BRS planen. „Der Ansatz ist natürlich nicht brandneu, aber es gab einen großen technologischen Fortschritt. Bei der Umsetzung sind wir vorne mit dabei“, ist Kruijff überzeugt. Hinzu kommt, dass es in den USA noch keine umfangreichen Studien zu diesem Thema gibt.

Das wollen die Wissenschaftler ändern: „Wir hoffen, dass wir einen Kreis an Therapeuten, Ärzten und Kliniken aufbauen können. Vor einiger Zeit hätte die technische Vorrichtung noch 50.000 Euro oder mehr gekostet. Heutzutage bekommt man Hardware und Software für wenige tausend Euro“, sagt Hinkenjann. Es sei jedoch nicht Ziel des Projektes, dass sich „jeder eine App herunterladen kann, um sich zu Hause selbst zu therapieren“.

Vielmehr hoffen die Wissenschaftler, dass sich mehr Krankenhäuser und Praxen die Technologie leisten können. Es laufen bereits Gespräche mit Ärzten und Therapeuten, für neue Interessenten sind die Forscher auch weiterhin offen. Vor kurzem gab es ein Symposium, auf dem die Idee vorgestellt wurde. Die Kanzlerin der H-BRS, Michaela Schuhmann, ist zuversichtlich: „Das Symposium lief gut. Wir hatten einige Versuchsaufbauten und wollten erst einmal die Welten der Ärzte und Informatiker zusammenbringen. Wir haben das Glück, dass das Projekt gefördert wird.“

Die Wissenschaftler wollen in Zukunft die Therapie auch mit Messung der Biofunktionen verbinden. So soll beispielsweise die Herzfrequenz gemessen werden, während der Patient sich in der virtuellen Realität aufhält. Bis Traumata oder posttraumatische Belastungsstörungen mit der Technik behandelt werden, wird es aber noch dauern. „Ein Trauma ist etwas sehr Komplexes und Individuelles. Bevor man so etwas behandelt, wollen wir uns erst einmal an leichte Ängste heranwagen, zum Beispiel Höhenangst oder Spinnenphobien. Wir wollen Versuche entwickeln, in denen man die Reizüberflutung kontrollieren kann“, sagt Schuhmann.

Je nach Art des Traumas muss die virtuelle Welt auch extra entworfen werden – dies kann Tage bis Wochen in Anspruch nehmen. Eine der zu klärenden Forschungsfragen ist auch, wie real und detailgetreu die virtuelle Welt sein muss. Aber schon jetzt werden alle Sinne angesprochen, selbst der Geruchssinn. So soll die virtuelle Welt so real wie möglich wirken.

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