Studien aus Bonn und Nijmegen Kann ein Tuberkulose-Impfstoff auch gegen Covid-19 helfen?

Bonn · Dass ein vor 100 Jahren entwickelter Impfstoff gegen Tuberkulose auch gegen andere Infektionen helfen kann, ist bekannt. Forscher der Universitäten Bonn und Nijmegen erklären nun, warum - und wieso das auch in der Corona-Pandemie interessant sein könnte.

 Eine Frau bekommt eine Impfung. (Symbolbild)

Eine Frau bekommt eine Impfung. (Symbolbild)

Foto: dpa/Carsten Rehder

Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Universitäten in Bonn und Nijmegen (Niederlande) haben gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Australien und Dänemark eine mögliche Antwort auf eine lange diskutierte Frage gefunden: Warum macht der vor rund 100 Jahren entwickelte Impfstoff gegen Tuberkulose Geimpfte auch für andere Infektionen unempfindlicher?

Die Ergebnisse machen Hoffnung auch für die Bekämpfung des Coronavirus. Momentan werde in mehreren Studien getestet, ob der Tuberkulose-Impfstoff schwere Verläufe von Covid-19 bei Risikogruppen wie Krankenhaus-Personal und Älteren verhindern kann, heißt es in einer Mitteilung der Uni Bonn. Die entsprechende Studie erscheint in der Zeitschrift „Cell Host & Microbe“.

Der BCG-Impfstoff - das Kürzel steht für Bacillus Calmette-Guérin - ist das einzige wirksame Vakzin gegen das Tuberkulose-Bakterium. Er wurde 1921 erstmals und seitdem milliardenfach bis heute eingesetzt. Dabei stellte sich heraus, dass Geimpfte nicht nur weitaus seltener an Tuberkulose erkranken, sondern auch für andere Infektionen weniger empfänglich sind. Im westafrikanischen Guinea-Bissau war die Sterblichkeit geimpfter Neugeborener um fast 40 Prozent geringer als die ungeimpfter Altersgenossen.

15 Freiwillige mit BCG-Vakzin geimpft

Diese Effekte werden auch bei anderen, vorwiegend bei sogenannten Lebend-Impfstoffen, beobachte. Experten sprechen dabei von „trainierter Immunität“, wobei bislang weitgehend ungeklärt ist, warum dieser Trainingseffekt über Jahre fortbestehen kann: Er ist selbst dann noch nachweisbar, wenn die zum Zeitpunkt der Impfung im Blut zirkulierenden Immunzellen längst gestorben sind.

Diese Lücke will die aktuelle Studie schließen. „Wir haben 15 Freiwillige mit dem BCG-Vakzin geimpft und zum Vergleich fünf weiteren Personen ein Placebo verabreicht“, erklärt Mihai Netea vom Radboud university medical center im niederländischen Nijmegen. „Dann haben wir den Betroffenen drei Monate später sowohl Blut als auch Knochenmark entnommen.“

Dabei hätten sich zwischen beiden Gruppen einige auffällige Unterschiede gezeigt: So schütteten die Immunzellen im Blut Geimpfter deutlich mehr Entzündungsbotenstoffe aus. Diese so genannten Zytokine verstärken die Schlagkraft der Immunabwehr; beispielsweise rufen sie andere Abwehrzellen zur Hilfe und dirigieren sie an den Ort der Infektion. Darüber hinaus waren in den Immunzellen von Geimpften ganz andere Gene aktiv als in der Placebo-Gruppe – vor allem solche, die für die Zytokin-Produktion benötigt werden.

Auch in den sogenannten hämatopoetischen Stammzellen im Knochenmark verändere sich durch die BCG-Impfung das genetische Programm langfristig: „Wir haben festgestellt, dass nach der Impfung bestimmte Erbanlagen leichter zugänglich werden und dadurch von den Zellen öfter abgelesen werden können“, erklärt Andreas Schlitzer vom LIMES-Institut der Uni Bonn.

Studie erforscht positive Auswirkungen auf Covid-19-Erkrankung

Die Forscherinnen und Forscher hoffen nun, dass sich eine BCG-Impfung auch positiv auf die Erkrankung mit Covid-19 auswirken könnte. Das trainierte Immunsystem könne zwar vermutlich nicht die Ansteckung mit dem Virus verhindern, aber möglicherweise das Risiko eines schweren Verlaufs reduzieren. Vor allem das besonders gefährdete medizinische Personal könnte davon profitieren.

Bis die Ergebnisse vorliegen, empfehle die Weltgesundheitsorganisation WHO aber keine Massenimpfungen mit dem BCG-Vakzin – auch, um die Versorgung in Tuberkulose-Regionen nicht zu gefährden. Mit mehr als einer Million Opfern jährlich belegt Tuberkulose auf der Liste der weltweit tödlichsten Infektionskrankheiten den Spitzenplatz.

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