Richter im Internet Internetportal aus Bonn blickt hinter die Kulissen der Justiz

Bonn · Das Bonner Portal richter-im-internet.de hat einen bundesweiten Innovationspreis gewonnen. Es soll den Zugang zu Informationen aus der Justiz vereinfachen und so mehr Transparenz ermöglichen.

Welcher Richter ist wofür zuständig? Das Bonner Internetportal soll mehr Transparenz in die juristischen Strukturen bringen.

Welcher Richter ist wofür zuständig? Das Bonner Internetportal soll mehr Transparenz in die juristischen Strukturen bringen.

Foto: picture alliance / Uli Deck/dpa

Mit den Deutschen und ihrer Rechtsprechung ist es so eine Sache. Die Gerichte genießen in Deutschland zwar viel Respekt und Ansehen. Wer „die Gerichte“ aber eigentlich sind, oder wie diese im Speziellen arbeiten – davon haben nur die Wenigsten konkrete Vorstellungen.

Das liegt nicht nur an mangelndem Interesse: Die internen Daten der großen Gerichte sind zwar öffentlich, aber denkbar schwer zugänglich. Bis vor wenigen Jahren wurden sie etwa nur im kostenpflichtigen Bundesanzeiger veröffentlicht. Ein Bonner Projekt will den Zugang zu den Dokumenten jetzt erleichtern. Auf der Website richter-im-internet.de finden sich die Geschäftsverteilungen und Senatsbesetzungen aller obersten Bundesgerichte seit 1950 – sauber in einer Tabelle angeordnet und zum Download.

„Die Idee hinter dem Projekt entstand aus eigener Forschung“, berichtet Hanjo Hamann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bonner Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, der die Initiative ins Leben gerufen hat. „Ich wollte etwas in den Geschäftsverteilungsplänen des Bundesgerichtshofs nachschlagen, stellte aber mit einigem Erstaunen fest, dass selbst jemand mit juristischer Vorbildung an diese Dokumente nur auf Umwegen herankommen konnte.“ Die eigentlich öffentlichen Pläne seien also nur theoretisch frei, so Hamann. De facto sei das Wissen eingesperrt – „auf sehr geduldigem Papier“.

Mehr als 100 Stunden lang hat der Jurist in der Folge die alten Organisationspläne aus unterschiedlichen Quellen zusammengetragen und in mühevoller Kleinarbeit digitalisiert. Rund 2800 Seiten sind so zustande gekommen. Belohnt wurden er und seine Helfer nun kürzlich mit dem Gütesiegel „Ausgezeichneter Ort im Land der Ideen“, das für die 100 innovativ-sten Projekte der ganzen Bundesrepublik vergeben wurde.

Immer wieder wird nach den Daten gerufen

Die zusammengetragenen Daten sollen vor allem Wissenschaftlern und Journalisten zugutekommen. „Laien müssten schon ein großes Interesse am Rechtssystem aufbringen, um so tief in dessen Strukturen blicken zu wollen“, gibt Hamann zu. Innerhalb der Wissenschaft würde aber immer wieder nach derartigen Daten gerufen, etwa zur Erforschung der zeitgenössischen Justizgeschichte oder der Einflussfaktoren auf gerichtliche Entscheidungen.

Und auch Journalisten soll es dank der Daten leichter gelingen, hinter die Kulissen der obersten Gerichte zu blicken. Denn durch die Geschäftsverteilungspläne kann nachvollzogen werden, welcher Richter in welchen Fällen wie entschieden hat. Wissenschaftler und Journalisten können mit solchen Informationen arbeiten, um Hintergründe zu analysieren.

Denn das fiel vor Hamanns Initiative alles andere als leicht: Er habe sich auf eine regelrechte Schnitzeljagd begeben müssen, um die Dokumente aufzutreiben, berichtet der Jurist. Nicht selten habe die ihn in die Tief- oder Außenarchive von Universitätsbibliotheken geführt. Und dort begann die Arbeit erst: Denn die Pläne lagern dort seit Jahrzehnten auf dünnem, brüchigen Zeitungspapier, das schon allein wegen des Formats für den Kopierer kaum brauchbar ist.

Jeder Interessierte kann mitmachen

Dank Hamann kann nun jeder vom heimischen Rechner aus auf die Dokumente zugreifen. Der Forscher hofft darauf, damit andere zu ähnlichen Arbeiten zu inspirieren. Sein Projekt wurde zwar vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft und von Wikimedia Deutschland gefördert. „Der großflächige Ausbau – es könnten beispielsweise noch weitere Gerichte erfasst werden – muss aber anderen überlassen bleiben, die dafür finanziell und personell besser ausgestattet sind“, sagt Hamann.

Seine Idee sei es gewesen, freie Wissenschaft zu betreiben, an die jeder anknüpfen und bei der jeder Interessierte mitmachen könne. „Wenn also jemand durch die Auszeichnung auf das Projekt aufmerksam wird und die Fackel weitertragen möchte, werde ich ihn oder sie in jeder erdenklichen Weise unterstützen. Freie Wissenschaft lebt ja gerade von Graswurzel-Kooperationen ohne Zen-tralplaner.“

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