NS-Aufarbeitung an der Uni Bonn Im Schatten der Hitlerzeit

BONN · An der Universität Bonn haben in der Nachkriegszeit prominente Nationalsozialisten gelehrt. Wie die Hochschule damit umgegangen ist.

 Chemie-Professor Andreas Antropoff, einer der aktivsten Nationalsozialisten an der Uni Bonn, hält anlässlich des Hissens der Hakenkreuzfahne im Arkadenhof im Jahr 1933 eine Rede.

Chemie-Professor Andreas Antropoff, einer der aktivsten Nationalsozialisten an der Uni Bonn, hält anlässlich des Hissens der Hakenkreuzfahne im Arkadenhof im Jahr 1933 eine Rede.

Foto: Archiv Uni Bonn

Hitler-Deutschland war vor ein paar Monaten untergegangen und Lehrende und Lernende alle gleich: ausnahmslos Angehörige der Nazi-Elite aus Verwaltung, Wissenschaft, Wehrmacht und Waffen-SS, und jetzt allesamt in einem britischen Gefangenenlager in Recklinghausen, zeitweilig 9000 Mann. Offizielle Campschools sollten dort der „Umerziehung“ dienen.

Am Lehrpult, in einer Art Entnazifizierung im Selbstversuch, standen auch internierte Unidozenten. Einer war der Historiker Franz Petri. Seit Mitte der 20er Jahre hatte er am Bonner Institut für Landeskunde gearbeitet. Später jagte er Hochschullehrer im besetzten Belgien aus dem Amt. Anfang der 50er Jahre kam Petri wieder in der Wissenschaft unter und wurde 1961 in Bonn Professor. Neben ihm dozierte in Recklinghausen auch sein SS-Kamerad Carl Ruberg, seit 1938 und dann wieder ab 1950 in der damaligen Bundeshauptstadt Professor für Betriebswirtschaft.

Einer der eifrigsten Hörer von Petri und Ruberg war der 23-jährige Romanistik-Student Hans Robert Jauß, zuvor Hauptsturmführer der Waffen-SS. Mit falschen Angaben hatte er sich im November 1945 an der Uni Bonn eingeschrieben, wurde aber schon einen Monat später in Recklinghausen festgesetzt. Im Januar 1948 wechselte an die Uni Heidelberg, die ihm das dubiose Lager-Studium mit zwei Semestern anrechnete. Später, seit den Sechzigern, wurde Jauß im In- und Ausland zum meistbeachteten deutschen Literaturprofessor.

Die Recklinghäuser Episode des Bonner Trios stellt jetzt erstmals der Historiker Jens Westemeier in einer wissenschaftlichen Biografie über Jauß' Jungendzeit heraus (Konstanz University Press). Ja, bemerkt dazu Dr. Thomas Becker als Archivar der Bonner Uni, es gebe immer wieder Geschichten zu entdecken, die das akademische Weiterleben nach 1945 schlaglichtartig beleuchten. Dabei lassen sich im Rückblick verschiedene Phasen in der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit unterscheiden.

Unikommissionen entschieden zunächst über die Zulassung möglichst unbelasteter Lehrender und Lernender, „oft sogar strenger als die übergeordnete Spruchkammer vor Ort“, sagt Becker. Dabei ging es um insgesamt 2500 Studienplätze und rund 100 Professorenstellen. Manche ehemalige Dozenten wie der Kunsthistoriker Alfred Stange, ein Vertrauter des führenden Nazi-Ideologen Alfred Rosenberg, wurden entlassen.

Nicht alle wiederberufenen Professoren kamen nach Bonn zurück. So blieb der Medizinprofessor und langjährige SPD-Stadtrat Alfred Kantorowicz im Exil in Istanbul. Zu den Neuberufenen gehörte der besonders populäre Hochschullehrer und bekennende Rheinländer Heinrich Lützeler („Philosophie des Kölner Humors“), der auch maßgeblich am Wiederaufbau der kriegszerstörten Unigebäude mitwirkte. Diese erste Phase schien spätestens 1951 mit einem Rechtsanspruch aller minderbelasteten Beamten auf Wiedereinstellung („131er Gesetz“) abgeschlossen.

Statt der Aufarbeitung wurde das „Beschweigen biographischer Vergangenheitslasten“ (Hermann Lübbe) üblich. Der zunächst rausgeschmissene Stange beispielsweise wurde schon 1949 in den Ruhestand versetzt und 1962 wie ein unbescholtener Professor mit höheren Bezügen „emeritiert“.

Aufsehen möglichst vermeiden, hieß noch Mitte der 60er Jahre die Devise, wie sich im Fall Paul Kahle zeigt. Die Frau und ein Sohn des Orientalistik-Professors hatten Juden nach der „Kristallnacht“ 1938 geholfen, woraufhin die Familie nach England emigrieren musste. Kahle wurde wegen „disziplinwidrigen Verhaltens“ als Beamter entlassen. Als ein Sohn die Uni 1965 um Rehabilitierung des Vaters ersuchte, verwies der Rektor auf verlorengegangene Akten. Deshalb sehe er keine Möglichkeit, „von sich aus die Disziplinarverfahren nachzuprüfen und die getroffenen Maßnahmen aufzuheben“.

Archivar Becker berichtet noch von einem anderen rechtstechnischen Kniff: Weil die Aberkennung von Doktortiteln, die in der Nazizeit erworben worden waren, „sittenwidrig“ war, seien diese dann später als von vorn herein „nichtig“ bezeichnet worden, was eine Rückgabe unnötig machte. Solche Drückebergerei endete erst mit dem Buch des Historikers Hübinger über einen (un)geliebten Ehrendoktor: „Thomas Mann, die Universität Bonn und die Zeitgeschichte“ (1974). Mann war die Ehrendoktorwürde 1936 aberkannt worden.

Nach dem Krieg wurde sie von der Universität aber erneuert. Seither folgten zahlreiche historische Untersuchungen, durch die „die schon erloschen geglaubten Schatten der Hitlerzeit“ (Jauß 1986) bis in die Gegenwart reichen.

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