Neue Leitung am Uniklinikum Große Pläne für das Medizinhistorische Institut in Bonn

BONN · Seit einem halben Jahr steht das Medizinhistorische Institut der Uniklinik Bonn unter der Leitung von Mariacarla Gadebusch Bondio. Sie geht zukunftsweisende Themen an.

 Mariacarla Gadebusch Bondio (l.) mit Bibliothekarin Julia Letow im Medizinhistorischen Institut.

Mariacarla Gadebusch Bondio (l.) mit Bibliothekarin Julia Letow im Medizinhistorischen Institut.

Foto: Benjamin Westhoff

Medizinhistorisches Institut – das klingt zunächst ziemlich verschnarcht. Und auch Mariacarla Gadebusch Bondio muss lachen: „Ja, das stimmt, verschnarcht trifft es.“ Doch genau diese offene, fröhliche Art ist es, mit der Gadebusch Bondio seit Februar in Bonn daran arbeitet, das einzige geisteswissenschaftliche Fach innerhalb der Medizin aus seinem Schattendasein zu befreien. Daher sagt sie auch ganz schnell: „Die Umbenennung des Instituts ist nur noch eine Frage der Zeit.“

Beheimatet in einem Flachbau aus den 60er Jahren und umgeben von vielen modernen Neubauten auf dem Venusberg, ist das Gebäude 44 von spürbarer Aufbruchstimmung geprägt. Als wolle sie alten Mief abstreifen, hat Gadebusch Bondio zunächst mal streichen lassen und das in die Jahre gekommene Gebäude zu einem Ort gemacht, an dem sich die elf Mitarbeiter wohlfühlen können. Denn die arbeiten keineswegs für das Archiv oder kleine, gleichgesinnte Zirkel, sondern beschäftigen sich mit Themen von großer Relevanz. „Der Name entspricht nicht dem, was wir hier tun“, sagt die Institutsleiterin.

Grundsätzlich geht es im Medizinhistorischen Institut um Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin – in Lehre und Forschung. „Die Fragestellungen müssen eine Relevanz für die Medizin der Gegenwart haben“, sagt Gadebusch Bondio. Sie beschäftigt sich etwa damit, ob Patienten Daten generieren können oder sollten, die verwertbar sind für die Medizin. Und die vielleicht sogar Publikationsergebnisse widerlegen könnten. Denn: „Evidenz entsteht normalerweise im Labor“, sagt Gadebusch Bondio. Doch heutzutage können auch Patienten wertvolle Daten liefern – sozusagen aus der Praxis. Hinter solchen Modellen stehen allerdings weitreichende Überlegungen zur Forschungsethik, nicht zuletzt des Datenschutzes.

Ein weiteres Forschungsfeld ist die Frage zum Verhältnis von Medizin und Politik. Wie ändern sich beispielsweise Verantwortlichkeiten in Krisenzeiten? Sollten Zahnmediziner im Dienste der Politik durch spezielle Untersuchungen das Alter von Geflüchteten feststellen? Oder sollte der Arzt sein Wissen und Können ausschließlich im Sinne des Patienten einsetzen?

Nichts Vergleichbares in Deutschland

Einige solcher Projekte hat Gadebusch Bondio von ihrer Station in München mitgebracht, wo sie ab 2011 das dortige Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Technischen Universität leitete. In Bonn hat sie nun einen Sonderforschungsbereich zum Thema „Überwachung von Patienten“ beantragt. „Aufmerksamkeit hat eine lange Tradition in der Medizin, weil der Arzt schon immer im richtigen Augenblick eingreifen musste. Da spielt auch das Arzt-Patient-Verhältnis eine große Rolle. Mit den neuen technischen Möglichkeiten ist das Thema Überwachung sowohl ethisch als auch historisch und gesellschaftlich relevant.“

Die in Italien geborenen Gadebusch Bondio ist Philosophin und Wissenschaftshistorikerin. Nach Bonn ist sie gewechselt, weil sie „das Institut hier schon immer großartig“ fand. „Was das Baukonzept betrifft, gibt es nichts Vergleichbares unter den 30 medizinhistorischen Instituten in Deutschland.“ Gegründet wurde das Fach in Bonn im Jahr 1943, der Bau auf dem Venusberg wird kommendes Jahr 50. Die Forschung zu medizinhistorischen Themen geht in Bonn jedoch schon bis zur Universitätsgründung im Jahr 1818 zurück – es gibt also eine sehr lange Tradition, daher spielt auch die Bonner Historie nach wie vor eine Rolle am Institut.

Damit dieses auch wahrgenommen wird, hat Gadebusch Bondio zahlreiche Antrittsbesuche bei Kollegen gemacht und ist auf große Unwissenheit gestoßen. „Viele waren erstaunt über unsere Themen und sehen Möglichkeiten für Kooperationen“, sagt sie nun begeistert.

Die Bibliothekarin macht Razzia

Herzstück des Instituts soll die Bibliothek werden, die über Jahre aus diversen Gründen nicht gepflegt werden konnte. Nun hat Julia Letow das Ruder übernommen und macht eine Razzia: sichten, sammeln und entscheiden, was bleibt, und was rausfliegt, ist der tägliche Job der Bibliothekarin. Rund 35.000 Medien plus 5000 Zeitschriftenbände lagern im Institut – mitunter historisch bedeutsame Werke wie die handschriftliche Habilitation von Carl Schmiz aus dem Jahr 1906, der später Medizingeschichte in Bonn lehrte.

Da viele kleinere Bibliotheken der Uniklinik aufgelöst wurden, wird das Medizinhistorische Institut zum Gedächtnis der Medizin in Bonn. „Wir sind eine thematisch bedeutende Bibliothek, die für ihre dynamische Entwicklung Raum und Pflege bedarf“, sagt Letow.

Das Raumkonzept des Baus aus den 60ern funktioniert noch immer. Auch für mehr Mitarbeiter sei Platz, sagt Gadebusch Bondio. Ihr würde es reichen, wenn nur der Name am Eingang erneuert würde. Allerdings muss sie mitteilen: „Das Ensemble, in dem sich das Medizinhistorische Institut befindet, soll abgerissen werden.“

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