Interview mit Alternsforscher „Es gibt kein Geheimrezept für gutes Altern“

Bonn · Die Gesellschaft befindet sich in einem demografischen Wandel: Die Menschen werden immer älter und bilden anteilmäßig eine immer größere Gruppe. Uwe Kleinemas ist Alternsforscher an der Universität Bonn. Im Interview mit Hannah Winter spricht er über seine Forschung und verrät, welche Faktoren zu einem zufriedenen Altern beitragen können.

 Einiges richtig gemacht: Die Französin Yvette Florens (85, r.) und ihre Mutter Honorine Rondello (113).

Einiges richtig gemacht: Die Französin Yvette Florens (85, r.) und ihre Mutter Honorine Rondello (113).

Foto: AFP

Herr Kleinemas, was kann ich mir unter Alternsforschung vorstellen?

Uwe Kleinemas: Die Alternsforschung beschäftigt sich im weitesten Sinne mit den Bedingungen eines guten Alterns. Also wie werde ich gesund, glücklich und zufrieden alt? Unser Forschungsgebiet umfasst dabei viele verschiedene Aspekte.

Zum Beispiel?

Kleinemas: Die Mobilität im Alter ist ein wichtiges Thema. Es wird zum Beispiel oft diskutiert, ob man älteren Menschen den Führerschein entziehen sollte. Dabei gibt es keinen wissenschaftlichen Befund, der einen Zusammenhang zwischen dem chronologischen Alter und der Fahrtüchtigkeit bestätigt. Wir untersuchen daher, wie man Bewegungsmöglichkeiten Älterer in Verkehrsräumen möglichst lange erhalten kann, ohne dass sie selbst oder die Allgemeinheit gefährdet werden. Denn Mobilität ist ein Schlüssel zur Teilhabe an der Gesellschaft.

In den Städten sollte das Thema Mobilität doch weniger ein Pro-blem sein, oder?

Kleinemas: Hier muss man aufpassen, dass die Stadt nicht nur für Alte gestaltet ist. Darin fühlen sich die jungen Menschen oft nicht mehr wohl und ziehen weg. Viel sinnvoller ist eine Stadt, die lebenswert für alle Generationen ist. Es gibt viele Gemeinsamkeiten, die man bedienen kann: Ärzte und Einkaufsmöglichkeiten, die gut erreichbar sind. Mehr Sicherheit, zum Beispiel bessere Beleuchtungen in Unterführungen. Das ist für alle praktisch, unabhängig vom Alter.

Also ist es gar nicht sinnvoll, die Umgebung nur den älteren Menschen anzupassen?

Kleinemas: Nein. Das wollen diese Menschen auch nicht. Sie wollen keine Umgebung, der man ansieht, dass sie für Alte gemacht ist. Außerdem wirkt das nicht inte-grativ, sondern es passiert das genaue Gegenteil: Einzelne Gruppen werden abgespalten. Aber eine der Kernbedingungen für gutes Altern ist das Öffnen der Gesellschaft für alle Altersgruppen, sodass jeder seine Fähigkeiten einbringen kann.

Wir sprechen nun die ganze Zeit von „den alten Menschen“. Aber ab wann ist jemand überhaupt alt?

Kleinemas: Diese Frage ist nicht eindeutig beantwortbar. Es gibt keine konkrete Zahl, keine feste Grenze. Ist man alt, wenn Degenerations- oder Verfallsprozesse am Körper bemerkbar werden? Wenn sich geistiger Stillstand einstellt oder keine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben mehr stattfindet? Oder ist man alt, wenn man in Rente geht? Je nach Perspektive wird man also zu unterschiedlichen Antworten kommen.

Gibt es Faktoren, die ältere Menschen besonders unglücklich machen?

Kleinemas: Vor allem Männer haben, zum Beispiel nach dem Verlust ihrer Partnerin, ein Problem mit dem Alleinsein. Sie verspüren den Wunsch, jemand neues kennenzulernen. Die häufige Annahme, ab einem gewissen Alter spiele Liebe keine Rolle mehr, ist falsch. Es ist egal, ob jemand 17 oder 70 ist: Die Bedürfnisse nach Zweisamkeit bleiben. Und auch im hohen Alter kann man natürlich noch Schmetterlinge im Bauch haben.

Warum haben Männer ein größeres Problem mit dem Alleinsein?

Kleinemas: Männer definieren sich häufig über Anerkennung im Beruf und haben außerhalb des Berufslebens weniger soziale Kontakte. Frauen sind viel mehr sozial unterwegs, pflegen Bekanntschaften und definieren sich weniger über Erfolg. Beim Eintritt in die Rente stehen daher besonders Männer oft vor der Frage: wohin mit meinen Fähigkeiten? Wer braucht mich, was kann ich tun? Solche Menschen können schnell unglücklich werden. Man hat alle Lebensaufgaben abgearbeitet, noch viel Lebenszeit vor sich und stellt sich nun existenzielle Fragen.

Und wie können solche Fragen beantwortet werden?

Kleinemas: Hobbys können diese Sinnfragen selten dauerhaft beantworten. Ehrenamtliches oder soziales Engagement dagegen schon eher, vor allem wenn damit die erhoffte Anerkennung verbunden ist. Insgesamt ist die Möglichkeit, sich und seine Fähigkeiten noch weiter einzubringen, ein wesentlicher Beitrag zu gutem Altern.

Haben Sie Tipps, wie man zufrieden und gesund alt wird?

Kleinemas: Es gibt kein Geheimrezept für gutes Altern. Wir kennen die stille gesellschaftliche Norm, nach der man eigentlich nicht altern darf: Ein „erfolgreicher“ älterer Mensch ist reich, dynamisch und immer noch jugendlich. Aber irgendwann wird jeder von seinem Alter eingeholt. Hilfreich ist dann ein positives Lebensgefühl und der Blick auf die Gewinne des Alters: Unabhängigkeit, Freiheit, die Früchte des Lebens ernten sozusagen. Und man sollte nicht erst kurz vor der Rente damit beginnen, ein Leben außerhalb des Berufs zu entdecken. Wer früh das Gleichgewicht zwischen Beruf und Freizeit findet, achtsam sich selbst gegenüber ist und seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten weiter trainiert, hat gute Chancen, zufrieden alt zu werden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort