Engagierte Studenten Die soziale Generation

BONN · Stipendien- und Arbeitgeber fordern engagierte Studierende – für viele junge Menschen gehören Auslandsaufenthalte, oft zu karitativen Zwecken, dazu. Aber was ist der Preis? Ein Essay.

 Soziales Engagement kann für viele junge Menschen auch die Arbeit in einem Slum bedeuten. Aber ob es gleich das krisengeplagte Haiti sein muss, wie auf unserem Bild gezeigt, mögen sich einige sicher fragen.

Soziales Engagement kann für viele junge Menschen auch die Arbeit in einem Slum bedeuten. Aber ob es gleich das krisengeplagte Haiti sein muss, wie auf unserem Bild gezeigt, mögen sich einige sicher fragen.

Foto: AFP

Immer mehr junge Leute waren mit ihren 20 Jahren bereits in Afrika, Lateinamerika oder Südostasien. Das liegt nicht daran, dass sich die klassischen Ziele für den Familienurlaub geändert hätten. Viele Abiturienten oder Studienanfänger machen dort ein freiwilliges soziales Jahr, bringen Kindern Englisch bei oder arbeiten mit behinderten Menschen.

Sicherlich profitiert man auch persönlich von einem solchen Aufenthalt, aber die Motivation, ein halbes oder auch ein ganzes Jahr für ein geringes Taschengeld zu arbeiten, ist oft auch ganz pragmatisch: Es gehöre eben dazu, sich sozial zu engagieren.

Wer nach bestandener Abiturprüfung nicht weiß, wie es weitergehen soll, reist eben ins ärmere Ausland – das macht sich später wenigstens im Lebenslauf gut. Der Kabarettist Christian Ehring führt das Ganze ad absurdum: Nach dem Abitur seines Sohnes habe er nach einem Slum für ihn gesucht, wie das alle täten, die auch nicht wüssten, was sie nach der Schule machen sollten. Seine Bemerkung „aber es muss ja auch nicht der schlimmste Slum sein“, verweist auf die Doppelmoral hinter dem Ganzen.

Im Studium wird es dann konkreter: Meist geht es um die Bewerbung für Stipendien, die Nachweise darüber fordert, wie sozial man ist. Was einmal die guten Noten waren, ist nun das freiwillige Engagement – am liebsten unentgeltlich und jahrelang neben Schule und Studium. Fragt sich nur, wann man neben einem verschulten Bachelor- oder Masterstudium noch Zeit für Ehrenamtliches haben soll.

Wer Bafög bekommt, muss darauf achten, seine Regelstudienzeit einzuhalten, viele Studierende sind aber gezwungen zu arbeiten, um sich Wohnung und Studium überhaupt finanzieren zu können. Wenn man gut 30 bis 40 Stunden pro Woche mit Uni-Veranstaltungen und Lernen verbringt, daneben noch 10 oder mehr Stunden wöchentlich beispielsweise kellnert – wann bleibt dann noch Zeit für Hobbies, Freunde oder das erwartete Engagement?

Auf der Suche nach Stipendien sind viele Studierende ernüchtert: Nahezu jeder Stipendiengeber brüstet sich damit, nicht nur nach guten Noten auszuwählen, sondern vor allem engagierte junge Menschen zu fördern. Das muss für jemanden, der sein Studium selbst finanziert und dennoch gute Noten schreibt, wie Hohn klingen. Grundlegender Gedanke hinter dem Konzept ist doch, dass junge Menschen etwas zweckfrei machen sollen; man möchte erreichen, dass jemand ohne Hintergedanken anderen hilft.

Doch wer von Studierenden Engagement um jeden Preis fordert, bewirkt im schlimmsten Fall das Gegenteil: Mittlerweile lässt man sich für alles Bestätigungen aushändigen – wenn man Nachhilfe gibt, in der Schule der Geschwister Kuchen verkauft oder in den Ferien bei einem Sportcamp hilft. Längst gibt es Reiseanbieter, die nach einer mehrwöchigen Afrika-Safari ein Zertifikat ausstellen, das dem Teilnehmer bescheinigt, an einem Sozialprojekt mitgewirkt zu haben.

Das alles hat mit dem Grundgedanken von sozialem Engagement nichts mehr zu tun. Wenn einige Stipendiengeber dann beispielweise noch fordern, dass man sich außerhalb der Universität engagieren soll, ist eine neue Grenze überschritten: Wer legt fest, welche Tätigkeit sozialer ist – ein Jahr lang ehrenamtlich Fußballtraining für Kinder zu geben, in den Ferien Flüchtlingen Deutsch beizubringen oder ein halbes Jahr lang Kinder in einem Entwicklungsland in Englisch zu unterrichten?

Alltägliche Eigenschaften wie Hilfsbereitschaft gehören sicherlich auch zu einer sozialen Persönlichkeit. Aber von wem lässt man es sich schon bescheinigen, wenn man für seine ältere Nachbarin einkauft, den kleinen Geschwistern bei den Hausaufgaben hilft oder sich um seine Großeltern kümmert?

Für viele ist das selbstverständlich. Sie helfen, ohne eine Gegenleistung dafür zu erwarten und würden sich dabei schäbig vorkommen, sich so etwas schriftlich bestätigen zu lassen. Gerade diese jungen Leute, die aus Überzeugung anderen helfen, fallen letztlich durch das Raster derer, die doch so sehr auf der Suche nach sozial engagierten jungen Menschen sind.

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