Forscher aus Bonn untersucht Wirtschaft unter Corona Lockerheit und Lockdown in den Niederlanden

Bonn · Der Bonner Professor für Wirtschaftswissenschaften Hans-Martin von Gaudecker untersucht die niederländische Ökonomie unter Corona. Auch in unserem Nachbarland sind Frauen durch die Krise besonders belastet.

 Lockerung unter Auflagen in Amsterdam: Anfang Juni sitzen Kunden in den kleinen gewächshausartigen Aufbauten eines Restaurants und essen zu Mittag.

Lockerung unter Auflagen in Amsterdam: Anfang Juni sitzen Kunden in den kleinen gewächshausartigen Aufbauten eines Restaurants und essen zu Mittag.

Foto: picture alliance/dpa/Peter Dejong

Zugegeben, der Blick über die deutsch-niederländische Grenze hat mit dem Beginn der Corona-Pandemie in diesem Frühjahr doch einiges von seiner sonst so selbstverständlichen Leichtigkeit eingebüßt. Und das nicht nur, weil der Kreis Heinsberg auf den Karten des Robert-Koch-Instituts als Risikogebiet sofort ins Auge stach. Auch der offizielle Kurs in Den Haag zwischen Herdenimmunität und Lockdown hat hierzulande Schlagzeilen gemacht.

Nun, da die Reisebeschränkungen in Europa gelockert wurden, rückt das Nachbarland wieder als beliebtes Urlaubsziel in den Blick – für Familien oder auch für Studenten, die mit Beginn der Semesterferien am 17. Juli auf eine außergewöhnliche Vorlesungszeit des Sommersemesters 2020 zurückblicken dürften.

„Zoom-Konferenz statt Hörsaal – das hat bei uns gut funktioniert und wird den Lehrbetrieb wohl auch noch im Herbst prägen“, schätzt Professor Hans-Martin von Gaudecker, der das studentische Leben allerdings nicht dagegen würde eintauschen wollen und wie alle hofft, so bald als möglich wieder zum gewohnten Universitätsalltag zurückkehren zu können.

Der 41-jährige Hochschullehrer für Angewandte Mikroökonomie am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Bonn ist Teamleiter am Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA), außerdem Teil des Exzellenzclusters ECONtribute. Und er hat beim jüngsten Dies academicus der Uni Bonn mit seiner digitalen Vorlesung über „soziale und ökonomische Auswirkungen der Coronaviruskrise“ einen großen Kreis interessierter Zuhörer erreicht.

Bei einer Studie von Ökonomen des Exzellenzclusters ECONtribute in Kooperation mit dem IZA haben Wissenschaftler seit Mitte März rund 5500 Niederländer zu den Veränderungen ihrer Arbeitswelt durch die Corona-Pandemie befragt. Grundlage dafür war und ist das LISS Panel; eine Bevölkerungsumfrage in den Niederlanden zu sozioökonomischen Fragen.

„Da lag eine aktuelle Umfrage zum Thema Corona natürlich nahe. Insbesondere, da die Niederländer wie auch die Skandinavier ihre Daten in ganz anderem Umfang auswerten und nutzen als wir hierzulande.“ Der erste Fragebogen, den von Gaudecker und sein 15 Doktoranden und Kollegen zählendes Team entworfen hatten, hätte bei der Beantwortung fünf Minuten in Anspruch nehmen sollen. „15 Minuten sind dann daraus geworden“, fügt der Professor hinzu.

Und der Aufwand lohnt sich, denn eben diese ersten vergleichenden Untersuchungen haben bereits überraschende Ergebnisse erbracht, aber dabei auch eindrucksvoll bestätigt, was im Grunde nicht nur geografisch naheliegt: „Die Niederlande und Deutschland sind, was die Bevölkerungsstruktur und die Arbeitswelt betrifft, im Großen und Ganzen recht gut vergleichbar“, zieht von Gaudecker Bilanz.

Und dies trifft auch jetzt während der Pandemie zu. „Die Akzeptanz des Lockdowns und der Schutzmaßnahmen ist gleichermaßen hoch. Was aber vor allem in den Niederlanden auch darauf zurückzuführen sein dürfte, dass die Regierung ihren anfangs eher lockeren Kurs auf Druck aus der Bevölkerung geändert hat“, ergänzt von Gaudecker.

Zwar mag der Anteil der Industriearbeiter bei unseren europäischen Nachbarn niedriger und der im Dienstleistungssektor entsprechend größer sein, doch eines gilt in beiden Ländern: Je höher der Bildungsgrad und je besser bezahlt der Job ist, desto sicherer ist er auch, da er dann sehr häufig von zu Hause aus erledigt werden kann. „Wohingegen Menschen mit schlechter bezahlten Beschäftigungen gleich in zweifacher Hinsicht bedroht sind“, führt von Gaudecker weiter aus: „Sie sind am Arbeitsplatz, zum Beispiel im Supermarkt, einem hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Oder die Gefahr, den Job zu verlieren, ist größer – wie zum Beispiel in der Gastronomie oder in der Reisebranche. Wenn auch die Tätigkeit im Homeoffice von Fall zu Fall mit Stress und Belastungen verbunden ist, müssen sich die Betroffenen zumindest keine unmittelbaren Sorgen um ihre materielle Existenzgrundlage machen.“

Große Veränderungen durch die Corona-Krise, so von Gaudecker, haben nicht zuletzt Väter erfahren, die ihren Arbeitsplatz nach Hause verlegen mussten. Die Belastungen für Mütter jedoch waren deutlich höher, sodass auch in den Niederlanden diskutiert wurde, ob man wieder in alte Rollenmuster zurückfalle.

Überraschend und bemerkenswert ist aber nicht zuletzt auch, dass selbst die Sorge um den Arbeitsplatz und spürbare finanzielle Engpässe keine Auswirkungen auf die Akzeptanz der Schutzmaßnahmen hatten. Zumindest lässt sich dies rückwirkend für die ersten Wochen sagen. „Wir hoffen aber, dass wir unsere Untersuchungen fortführen können, um die Auswirkungen auf die Arbeitswelt auch langfristiger untersuchen zu können.“

Das erfordert Zeit und Aufwand, um die nötigen Anträge zu formulieren und einzureichen. Corona hat in diesem Frühjahr auch im Bonner Universitätsleben vieles, aber eben nicht alles verändert.

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