Interview zum Thema Erderwärmung Uni Bonn bietet Ringvorlesung zum Klimawandel an

Bonn · Eine Ringvorlesung der Universität Bonn beleuchtet verschiedene Aspekte des Klimawandels. Wir haben mit Geographie-Professor Lothar Schrott über die Erderwärmung gesprochen.

 Im kanadischen Inuvik haben auftaubedingte Bodensetzungen zu starken Beschädigungen der Landebahn geführt.

Im kanadischen Inuvik haben auftaubedingte Bodensetzungen zu starken Beschädigungen der Landebahn geführt.

Foto: Schrott

Spektakuläre Eisabbrüche in der Antarktis oder die tauenden Gletscher in den Alpen schaffen es immer wieder in die Nachrichten. Dass den Bewohnern der Hochgebirge und der Subarktis in Kanada oder Sibirien der Boden unter den Füßen wegtaut und dabei riesige Mengen Treibhausgase freisetzt, wird erst seit Kurzem breiter wahrgenommen. Der Bonner Professor Lothar Schrott forscht schon seit drei Jahrzehnten über Permafrost. Im Gespräch mit Martin Wein zieht er ein ernüchterndes Fazit.

Welche Bedingungen sind notwendig, damit Boden dauerhaft gefroren bleibt?

Professor Lothar Schrott: Grundsätzlich gilt: Wenn Boden, Schutt, Fels oder organisches Material mindestens zwei Jahre durchgehend gefroren ist, sprechen wir von Permafrost. Die Jahresmitteltemperatur sollte zu seinem Erhalt im Bereich unter null Grad liegen. Allerdings erwärmt sich der Permafrost auch schon, wenn die Jahresmitteltemperatur unterhalb des Gefrierpunktes etwa von minus 8 auf minus 6 Grad ansteigt. Die Bodenoberfläche taut im Sommer dann stärker auf und setzt klimaerwärmendes Methan in den Böden der Polarregionen frei.

Gibt es Permafrost eigentlich nur an Land?

Schrott: Es gibt sogenannten submarinen Permafrost am Grund der polaren und subpolaren Ozeane. Dessen Flächen und Mächtigkeit zu quantifizieren, ist allerdings noch schwieriger als auf den Landmassen der Erde.

Rund ein Viertel aller Landflächen liegt in der Permafrostzone im Norden und Süden und in den Gebirgen. Wie viel davon droht aufzutauen?

Schrott: Wir haben bis heute nicht einmal eine genaue Karte mit der globalen Verteilung von Permafrost, geschweige denn konkrete Werte  zu dessen Schwund. Dafür sind die Einflussfaktoren räumlich zu variabel. Wir versuchen derzeit hier am Institut mit einem Forschungsprojekt in den semiariden Anden auf der Höhe von Santiago de Chile erst einmal zu ermitteln, wie viel Eis dort überhaupt im Untergrund versteckt ist. Einige spannende Untersuchungen zeigen grundsätzlich, dass die Permafrostgrenze in Richtung der Pole wandert. Bis zum Jahr 2100 können das durchaus einige hundert Kilometer werden. In den Gebirgen taut der Permafrost an den Nordhängen in tieferen Lagen. An den Südseiten gibt es ohnehin nur fleckenhafte Vorkommen, die ganz verschwinden.

Lässt sich stattdessen beziffern, wie viel Kohlenstoff der auftauende Permafrost freisetzen könnte?

Schrott: Wir gehen davon aus, dass im Permafrost bis zu 1500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert sind – rund doppelt so viel wie in der Erdatmosphäre. Nach verschiedenen Schätzungen werden bis 2030 zwischen 60 und 100 Milliarden Tonnen davon freigesetzt. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte sich das auf einen Wert summieren, der etwa der Hälfte aller Kohlenstoff-Emissionen seit Beginn der Industriellen Revolution entspricht.

Kann man die Entwicklung mit der Erwärmung der Atmosphäre korrelieren?

Schrott: Mit einem Freiland-Labor am Kitzsteinhorn in Österreich beobachten wir seit 2010 ganz konkret den Einfluss der Klimaänderung auf die Temperatur des Permafrostes. Mit einem Laserscanner vermessen wir dort zweimal im Jahr eine Felswand und überwachen Felsverluste. Auftauender Permafrost ist nämlich sehr viel instabiler als sehr kalter. In bestimmten Bereichen sehen wir in den letzten Jahren tatsächlich vermehrte Abbrüche. Global gesehen gilt: Wenn die Treibhausgase in genannter Höhe aus Permafrost-Regionen freigesetzt werden, werden sie die Durchschnittstemperatur auf der Erde um 0,1 Grad zusätzlich erhöhen. Das ist schon ein Fünfzehntel des 1,5-Grad-Ziels. Dazu kommen Verstärkungseffekte. So werden mit tauendem Permafrost auch die Schnee- und Eisflächen kleiner. Mehr Wärme wird damit nicht von den weißen Flächen zurück ins All reflektiert, sondern von der Bodenoberfläche aufgenommen. Insgesamt wird der Effekt also noch größer ausfallen.

An einigen Stellen taut der Boden viel schneller als von den Klimaszenarien des IPCC („Weltklimarat“) vorhergesagt. Sind die Modelle verlässlich, oder wurden sie bisher zu konservativ ausgelegt?

Schrott: Unsere Modelle werden immer besser und haben damit geringere Unsicherheiten. Hier und da zeigt sich die Lage tatsächlich dramatischer als vor zehn oder 15 Jahren. Auch damals gab es schon warnende Stimmen, aber die Bedeutung des Permafrosts für das Klima wurde von Medien und Öffentlichkeit lange unterschätzt und nicht wahrgenommen.

Gibt es einen Punkt, an dem das Auftauen nicht mehr zu verhindern ist, oder ist das ein allmählicher Prozess?

Schrott: Die Signale, die wir hier am Institut in den Alpen wie den Anden registrieren, deuten auf vermehrte Felsstürze in beiden Regionen hin. An der Nordwand der Zugspitze rechnen wir in den nächsten Jahrzehnten mit großen Felsstürzen. Muren aus den Permafrost-
gebieten könnten vermehrt Passstraßen in den Alpen treffen.

Und wie steht es in den Permafrostregionen des Nordens?

Schrott: Es gibt in Sibirien Großstädte, die sehen infolge der auftaubedingten Bodensetzungen aus wie nach einem Erdbeben. Im Norden von Kanada sind über 50 Landebahnen stark beschädigt, die zur Versorgung abgelegener Siedlungen unerlässlich sind.

Fördern die Waldbrände, wie es sie im Sommer in Sibirien gab, das Auftauen?

Schrott: Damit kommt zusätzlich enorme Wärme in den Untergrund. Die wird das Problem weiter verschärfen.

Könnten auf auftauenden Flächen dann nicht einfach neue Moore entstehen, die CO2 speichern?

Schrott: Da stehen sich zwei Prozesse diametral gegenüber: CO2 wird tatsächlich in Mooren gebunden. Gerade in auftauendem Permafrost setzen aber Mikroorganismen verstärkt Methan frei – ein Treibhausgas.

Was könnte getan werden, um den Permafrost zu erhalten?

Schrott: Der vor Jahrzehnten begonnene Tauprozess lässt sich nicht mehr stoppen. Wir können nur den Anstieg der globalen Temperatur möglichst klein halten. Auf lokaler Ebene gibt es Ingenieurlösungen. Zum Beispiel versucht man den Boden unterhalb von Forschungsstationen in den Alpen künstlich zu kühlen, damit ihre Fundamente fest im Boden eingefroren bleiben.

Über Permafrost im Klimawandel spricht Lothar Schrott am Dienstag, 12. November, ab 18.15 Uhr in Hörsaal 1, Campus Poppelsdorf, Endenicher Allee 19c. Alle Termine der Ringvorlesung zum Klimawandel gibt es unter: https://www.uni-bonn.de/neues/240-2019

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