Mystifizierte und missbrauchte Zeichen Bonner Professor hat ein Buch über Runen geschrieben

BONN · Arnulf Krause zeigt in seinem neuen Buch: Runen waren einst gängige Gebrauchsschrift, vor allem in Skandinavien. "Der Herr der Ringe" hat sie dann wieder gesellschaftsfähig gemacht.

 Heutzutage würden Runen eher in esoterischem Kontext verwendet, sagt Arnulf Krause.

Heutzutage würden Runen eher in esoterischem Kontext verwendet, sagt Arnulf Krause.

Foto: Thomas Kölsch

Sie gelten als Siglen der Macht, als magisch aufgeladene Zeichen mit geheimnisvollen, oft prophetischen Eigenschaften: Runen spielen heutzutage vor allem in der Esoterik sowie in der fantastischen Literatur eine zentrale Rolle. Orakelsteine und anderer Hokuspokus bilden einen riesigen Markt, gespeist aus einer Mystifizierung, die ursprünglich aus der deutschvölkischen Bewegung um 1900 erwuchs.

Doch das eigentliche Geheimnis der Runen ist weitaus banaler, wie Professor Arnulf Krause von der Abteilung für Skandinavistik der Universität Bonn betont: „Im Prinzip bildeten sie zumindest in den nordischen Ländern eine Gebrauchsschrift, auch wenn sie nur von wenigen kundigen Runenmeistern wirklich beherrscht wurde. Fast 1000 Jahre lang waren sie in Skandinavien die einzige verwendete Schrift, während ihr Gebrauch auf dem Kontinent schon im frühen 7. Jahrhundert durch das lateinische Alphabet verdrängt wurde.

Es ist wahrscheinlich, dass sie auch für Rituale oder in Zaubersprüchen verwendet wurden, aber das Ausmaß der okkulten Zuschreibung, das heutzutage existiert, ist zum großen Teil eine Erfindung des Westens. Die Skandinavier hatten eigentlich einen weitaus nüchterneren Ansatz verfolgt.“

Überblickswerk veröffentlicht

Seit einigen Jahren beschäftigt sich Krause nun schon intensiv mit Runen; gerade erst hat er sein Überblickswerk „Runen: Geschichte – Gebrauch – Bedeutung“ veröffentlicht, das sich in erster Linie an interessierte Laien richtet. „Natürlich findet sich in der nordischen Mythologie das okkulte Runenwissen, das der Göttervater Odin erwarb, während er an der Weltesche Yggdrasil hing, aber die große Mehrheit der überlieferten Runeninschriften dienen eher profanen Zwecken“, sagt er. „Dafür spricht auch, dass sich entsprechende Inschriften zum Beispiel auch auf christlichen Gedenksteinen finden.“

Dabei seien die einzelnen Zeichen in der Regel einem konkreten Laut zugeordnet worden, so wie in den meisten anderen europäischen Alphabeten auch. „Zwar hatte jede Rune auch einen Begriffswert, aber das sollte man nicht überbewerten. Eine derartige Verwendung wird relativ selten in verfügbaren Inschriften gefunden“, sagt Krause.

Die europäische Rezeption der Runen entstand derweil unter anderem durch eine intensivere Beschäftigung mit der Edda, vor allem während der Romantik. Autoren wie Friedrich de la Motte Fouqué liebten die Vorstellung des Runenzaubers, die sich so schnell in der Gesellschaft verbreitete – Wilhelm Grimms zeitgleich stattfindende wissenschaftliche Aufarbeitung der Runen verblieb dagegen vor allem in akademischen Kreisen.

Auf der Suche nach einer Vergangenheit

„Man war zu diesem Zeitpunkt in Deutschland auf der Suche nach einer Vergangenheit, mit der man sich als noch junge Nation identifizieren konnte und die sich gleichzeitig von Frankreich abgrenzte“, erklärt Krause. „So entstand die Faszination für das Germanentum, das man auch in Skandinavien verortete. Die nordische Welt wurde idealisiert, ihre Mythologie übernommen. Kein anderes Land hat sich zum Beispiel so eine innige Beziehung zu Island zugesprochen wie Deutschland.“ Was schließlich bei den Nazis in einer völligen Perversion des skandinavischen Erbes inklusive der Runen mündete.

Eine Zäsur macht Krause dann wieder bei einem bis heute äußerst populären Autoren aus: J.R.R. Tolkien. „Vor allem seine Zwergenrunen sind maßgeblich von den germanischen Runen, insbesondere von den altenglischen, inspiriert worden“, sagt Krause, der sich ebenso wie sein Bonner Kollege Rudolf Simek, Professor für Ältere Germanistik mit Einschluss des Nordischen, auch aus literaturwissenschaftlicher Sicht mit dem „Herrn der Ringe“ beschäftigt hat. „Auf einmal waren Runen wieder gesellschaftsfähig und sogar poetisch, wenn man zum Beispiel an die Mondrunen auf Thrórs Karte im “Hobbit„ denkt.“

Die erneut stattfindende Mystifizierung nimmt Krause dabei billigend in Kauf. „Im Vergleich zu dem ideologischen Missbrauch durch die völkische Bewegung und die Nazis ist die esoterisch angehauchte Verwendung heutzutage weitgehend unbedenklich. Es mag zwar Menschen geben, die sich daran stören, dass jemand mit Runen in die Zukunft zu blicken versucht, aber letztlich ist das genauso gefährlich wie ein Gummibärchen-Orakel.“

Das Buch: Arnulf Krause: „Runen: Geschichte – Gebrauch – Bedeutung.“ marix Verlag, 224 S., 6 Euro.

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