Nanoplastik Bonner Biologin erforscht Kunststoffteilchen im Körper

Bonn · Jede Woche essen wir durchschnittlich fünf Gramm Plastik. Die Entwicklungsbiologin Elvira Mass erforscht in Bonn, inwiefern Nanoplastik zu neuronalen Krankheiten führen kann.

 Elvira Mass möchte herausfinden, welche Arten von Nanoplastik die Menschen durch ihre Nahrung aufnehmen und welche das Gehirn erreichen.

Elvira Mass möchte herausfinden, welche Arten von Nanoplastik die Menschen durch ihre Nahrung aufnehmen und welche das Gehirn erreichen.

Foto: Liyang Zhao

Professorin Elvira Mass trägt einen Laborkittel und hält eine Pipette in ihrer Hand. Vorsichtig drückt sie auf die Pipette, und eine Flüssigkeit läuft in das Gläschen vor ihr. Es sind Zellen. Mit ihnen beginnt alles Leben. Aus einzelnen Zellen entwickeln sich komplexe Organismen wie der Mensch. Mit diesen Prozessen befassen sich Entwicklungsbiologen wie Elvira Mass. Sie ist Professorin an der Universität Erlangen-Nürnberg und Leiterin der Forschungsgruppe „Entwicklungsbiologie des angeborenen Immunsystems“ am Life & Medical Sciences-Institut (LIMES) der Universität Bonn. In ihrem neuen Projekt „NanoGlia“ möchte sie untersuchen, inwiefern Nanoplastik, das wir durch Nahrung aufnehmen, neurologische Krankheiten fördern kann.

„Pro Woche essen wir durchschnittlich fünf Gramm Plastik. Das entspricht einer Kreditkarte“ so die WHO, sagt Mass. Das Plastik, welches wir in den Meeren entsorgen, zerfällt mit der Zeit zu Mikro- und später zu Nanoplastik. Fische, Muscheln oder Garnelen, die wir essen, enthalten dann diese Kunststoffteilchen. Das ist nur ein Weg, wie es in unseren Körper gelangt. Die Filteranlagen können Partikel in Nanometer-Größe bisher nicht erfassen. So kommt Nanoplastik auch in unser Trinkwasser.

Plastikverpackungen, Mikrofasern, Erde, aus der unser Gemüse wächst, „selbst in der Möhre, die wir essen, könnte also Plastik sein“ sagt Mass. Wir essen täglich Nanoplastik, wir können es bloß nicht sehen. Und es ist bisher schwer nachzuweisen, da die entsprechende Technik fehlt.

Aber welche Folgen hat das für unsere Gesundheit? Dieser Frage möchte Mass mit ihrem Team nachgehen. Nanometer-kleines Plastik kann durch die Zellschichten des Darms dringen. So kann Nanoplastik das Lymph- und Kreislaufsystem erreichen und die Blut-Hirn-Schranke bei Säugetieren überwinden. Sogenannte Makrophagen sind die ersten Zellen, die die Partikel aufnehmen. Das sind Fresszellen, die dafür zuständig sind, Mikroorganismen und andere Fremdkörper zu beseitigen. Sie gehören also zu den Zellen des Immunsystems.

Sind große Mengen von Nanoplastik vorhanden, sind die Makrophagen ständig aktiv und die Immunantwort wird erhöht. Das könnte dazu führen, dass die nahegelegenen Nervenzellen beschädigt werden, was schließlich eine Neurodegeneration zur Folge hätte.

In ihrem Projekt „NanoGlia“ möchte Mass untersuchen, welche Arten von Nanoplastik wir durch Nahrung aufnehmen, welche das Gehirn erreichen und von Makrophagen aufgenommen werden können. Eine weitere Frage ist, inwiefern das aufgenommene Nanoplastik von einer schwangeren Frau durch die Plazenta an den Embryo weitergegeben wird. Das Projekt beginnt im April 2020. Unter ihrer Leitung werden ein Doktorand sowie ein Postdoc an der Forschung arbeiten. Mass erhält für ihre Forschung einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC). Damit ist in den nächsten fünf Jahren eine Förderung in Höhe von 1,5 Millionen Euro verbunden. „Erst wenn wir wissen, welche Auswirkungen Nanoplastik auf uns hat, können wir gesundheitliche Schäden verhindern oder behandeln“ sagt die Wissenschaftlerin.

Dass sie eines Tages entwicklungsbiologisch forschen würde, war bereits früh klar. An der Universität entdeckte sie schon in der ersten Vorlesung beim Bonner Rektor, Professor Michael Hoch, ihre Begeisterung für die Entwicklungsbiologie. „Es ist faszinierend zu verstehen, wie wir gemacht werden, wie jeder Schritt in der Entwicklung festgelegt ist“, sagt die Wissenschaftlerin auch heute noch. Nach dem Studium der Biologie in Bonn promovierte sie am LIMES über die Herzentwicklung von Mäusen. Kurz darauf erhielt sie eine Postdoc-Stelle am King’s College London.

Schnell stellte sich allerdings heraus, dass das gesamte Labor nach New York umziehen würde, eine große Überraschung für Mass: „Wir haben dann alle zügig hintereinander geheiratet, damit unsere Partnerinnen und Partner mit in die USA durften“ erzählt die Biologin und lacht. Ihren heutigen Ehemann lernte sie auf einem Schachturnier kennen.

„Ich habe eine Hassliebe zu New York. Es ist gewöhnungsbedürftig, alles ist so dynamisch und schnell. Doktoranden werden da über Nacht eingestellt. Bei uns dauert das mehrere Monate“, sagt Mass. Zweieinhalb Jahre blieb sie mit ihrem Mann in New York bis sie als Gruppenleiterin zum LIMES zurückkehrte.

Ihre Eltern hatten sich damals eigentlich gewünscht, dass sie Medizin studiert. Aber die Abiturnoten reichten dafür nicht aus. 1994 zog die kasachische Familie nach Deutschland, vor allem für die Zukunft der Kinder. Heute ist Mass froh darüber, nicht Medizin studiert zu haben. Denn die Biologie biete mehr Freiheiten für ihr Forschungsinteresse, sagt sie.

„Ich habe den besten Job der Welt“ findet die Entwicklungsbiologin. „In der Grundlagenforschung gibt es immer Neues zu entdecken, man stellt sich immer wieder neue Fragen, auf die es noch keine Antworten gibt“, meint Elvira Mass. Darin liegt für die Wissenschaftlerin ihre Faszination.

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