Gespräch mit Rektor Hans-Joachim Pieper Alanus Hochschule startet Ringvorlesung zum Thema Liebe

Alfter · Die Alanus Hochschule startet am Mittwoch mit einer Ringvorlesung zum Thema Liebe. Im Gespräch zur Veranstaltung spricht Rektor Hans-Joachim Pieper darüber, wie es um die Liebe in der heutigen Zeit bestellt ist.

 Zwischendurch hingekritzelt, dann schnell überklebt: Im Kapitalismus verkommen Gefühle manchmal zur Alltagsware.

Zwischendurch hingekritzelt, dann schnell überklebt: Im Kapitalismus verkommen Gefühle manchmal zur Alltagsware.

Foto: Benjamin Westhoff

Die Liebe hat es nicht gerade leicht in der heutigen Zeit. "Sie wird regelrecht in die Zange genommen", findet Hans-Joachim Pieper, Rektor der Alanus Hochschule, sogar. Zum Auftakt der dortigen Ringvorlesung an diesem Mittwochabend über das wohl schönste Gefühl überhaupt stellt er die Frage, ob sich die Liebe langsam aus der Welt verabschiedet, oder ob sie noch zu retten ist.

Dabei will sich der Professor für die Geschichte der Philosophie nicht auf rein akademische Betrachtungen kaprizieren - obwohl natürlich auch Platon seinen Platz in dem Vortrag bekommt. "Viel mehr möchte ich das Lebenspraktische und Interessante für alle Menschen in den Vordergrund stellen", sagt der 61-Jährige.

„Liebe ist eine Grundhaltung“

Dabei sieht er seine Rolle in der Ringvorlesung als die des Generalisten, der seinen Zuhörern einen Überblick über verschiedene Facetten der Liebe geben möchte. Ab der kommenden Woche übernehmen dann die Spezialisten mit ihren Themen und beleuchten etwa die Liebe in der Kunstgeschichte, dem Buddhismus und der Architektur.

Aber warum geht es der Liebe denn nun so schlecht? Ungeachtet dessen, ob es um die romantisch-erotische Liebe zwischen zwei Partnern, die christlich geprägte Nächstenliebe oder die Freundschaftsliebe geht, schlägt Pieper folgende Minimalbestimmung für das viel zitierte Phänomen vor: "Liebe ist eine Grundhaltung, die geprägt ist von Selbstlosigkeit und Wohlwollen."

Der Kitt des Zusammenlebens

Für ihn macht die Liebe im Sinne des Altruismus den Kitt des Zusammenlebens aus. Gesetze, Recht und Ordnung stellen in dem Konstrukt das Skelett der Gesellschaft dar, die Seele des Miteinanders entfaltet sich jedoch in den zwischenmenschlichen Beziehungen, die eben auch durch altruistisches Wohlwollen geprägt sind. Und genau diese Bedeutung der Liebe sieht Pieper derzeit sowohl von praktischer als auch von theoretischer Seite bedroht. "Das rührt zum einen daher, dass wir in einer sehr stark von Konkurrenz, Kapitalismus und Egoismus geprägten Gesellschaft leben", sagt er. Diesen Trend sieht er in Bezug auf Ehe und Partnerschaft durch die zunehmende Digitalisierung und "die Flut von Online-Angeboten, die in Konkurrenz zu klassischen Partnerbeziehungen stehen" noch verstärkt.

An dem Punkt rekurriert er dann doch auf sein Metier, die Geschichte der Philosophie, und zitiert Erich Fromm (1900-1980): Der Sozialpsychologe hatte schon 1956 in seinem Buch "Die Kunst des Liebens" konstatiert, dass die Liebe zu einem Handelsartikel verkomme - und auch die Menschen, die mit ihr zu tun hätten, einen Waren- und Objektcharakter erhielten. Nichts anderes geschehe heutzutage, so Pieper, wenn die Nutzer der Partnerbörsen ("Börse" - welch auffällig kapitalistische Konnotation!) sich selbst wie auf einem Markt anpriesen und auf der Suche nach dem passenden Partner auch den eigenen Tauschwert in den Ring würfen. So viel zur praktischen Bedrohung der Liebe.

Plädoyer für die Liebe

Nun zum zweiten, theoretischen Anteil an der Bedrängnis: Laut Pieper haben unter anderem Psychoanalyse, Evolutionsbiologie und Neurobiologie stark dazu beigetragen, sowohl die Nächstenliebe als auch die Partnerliebe massiv zu entzaubern. "Wenn man diesen Konzepten Glauben schenkt, handelt es sich bei unseren Liebesanwandlungen, zu denen auch tiefes, bedingungsloses Vertrauen gehört, entweder um Irrläufer der Evolution, Tiraden der menschlichen Hormone oder zwangsläufige neurologisch-biochemische Abläufe. Alles ist nur Trieb oder Chemie."

Aber damit will Pieper sich nicht zufrieden geben. Denn für ihn steht die Liebe auch für ein bestimmtes Menschenbild, das von eigenständigen Persönlichkeiten ausgeht, die frei miteinander in Beziehung treten können und nicht nur "am Faden von irgendwelchen kausalen Bestimmungen, wie etwa der Triebe, hängen". Sein Vortragsabend, der den etwas pessimistischen Titel "Bevor die Liebe geht" trägt (wie übrigens auch eines seiner Bücher), ist ein klares Plädoyer für diese auf der roten Liste stehende, bedrohte Gefühlsart.

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