Hochschule Bonn-Rhein-Sieg startet Ringvorlesung Hochschule startet Diskurs über Konsum

Sankt Augustin · Die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg startet eine neue Veranstaltungsreihe über Energie, Plastik und Konsum. Start ist am Donnerstag, 11. April.

Was ist das Besondere an Ihren regelmäßigen Ringvorlesungen?

Professorin Katharina Seuser: Sie sind fester Teil von drei Studiengängen – nicht freiwillig wie das Studium Generale, sondern Pflicht. Die Öffentlichkeit kann und soll dazukommen, damit eine lebendige Diskussion stattfindet. Es reicht nicht, dass nach dem Vortrag alle nach Hause gehen, weil sie glauben, dass alle Probleme gelöst sind.

Kann eine rein akademische Veranstaltung so komplexen Problemen überhaupt gerecht werden?

Seuser: Ich stelle mir vor, dass jede Vorlesung eine Art Saatkorn ist. Bei dem einen oder anderen wird es aufgehen. Es kann begeistern, sich nicht nur beschallen zu lassen, sondern mitzugestalten und zu überlegen: Was hat das mit mir zu tun, was ist mein Teil am Problem?

Welche Saat wollen sie streuen?

Seuser: Die Sensibilisierung, was für unsere Zukunft wichtig ist. Von einfachen Alltagsfragen des eigenen Konsums bis zu komplexen Dingen. Als Hochschule haben wir den Anspruch, die auszubilden, die am meisten tun können. Wir wollen sie ermutigen, in unbequeme Richtungen zu denken.

Zum Beispiel?

Seuser: Auch bei Regenwetter das Fahrrad zu nehmen. Bequemlichkeiten und Gewohnheiten zu hinterfragen und zu ändern. Dass das geht, hab’ ich an mir selbst gemerkt. Früher bin ich nach Berlin geflogen, heute nehme ich den Zug. Man stößt da natürlich an Grenzen. Es wird keine schlagartige Wende vom Auto zum Fahrrad geben. Solche Sachen müssen erst im Kopf anfangen. Es ist ein langsamer und mühseliger Prozess.

Auch viele Ihrer Studierenden kommen morgens mit dem Auto. Wollen Sie sie auch darauf stoßen?

Seuser: Überhaupt nicht. Ideen und Lösungskonzepte entwickeln die Studierenden selbst. Das ist „open end“; ich weiß nicht, was rauskommt. Ich würde mir nie zu sagen anmaßen: „Ihr müsst jetzt alle das Auto stehenlassen und mit der Bahn fahren!“ – da kann und muss ich bei mir selbst anfangen. Es geht nicht darum, zu sagen: „Dieses ist richtig, jenes falsch!“.

Sondern?

Seuser: Es geht darum, Nachdenken und Gespräche anzustoßen, die fortwirken; bei dem einen so, bei dem anderen so. Es gibt keinen goldenen Weg, alles ist komplex und vielschichtig. Es geht nicht um ein Diktat, sondern um eigenes Entwickeln. Wo sollte man das tun, wenn nicht an der Hochschule? Wir wollen die Leute nicht trichtermäßig mit Wissen befüllen, sondern sie zu eigenem Denken befähigen, ermächtigen und motivieren.

Ein Vortragsthema wird sein: „Wie deutsche Medien die Energiewende verschlafen“. Wie meinen Sie das?

Seuser: Was der Referent konkret sagen wird, weiß ich natürlich noch nicht. Ich selbst glaube, dass es nicht ausreicht, was über die Energiewende geschrieben wird. Die Studierenden wissen das. Ich habe es bei der Vorbereitung gemerkt. Ich habe alle möglichen Themen vorgeschlagen, über die wir hätten arbeiten können. Sie wählten „Energie, Mobilität und Plastik“! Das fand ich außergewöhnlich. Ich glaube, wir müssen das Thema noch viel mehr in allen möglichen Kontexten aufgreifen und es uns noch intensiver bewusst machen.

Hat die Wissenschaft also die Klimakommunikation verschlafen?

Seuser: So hart würde ich das nicht sagen. Wissenschaft hat in erster Linie eine andere Aufgabe, und wer zu einem komplexen Thema forscht, kann nicht nebenher noch Kommunikationsexperte sein.

Die Wissenschaft bietet viele Studien und Zahlen, und alles, was entsteht, ist Verwirrung. Kann sie nicht auch mal Haltung bieten?

Seuser: Ich erinnere mich an den Meteorologen Professor Clemens Simmer. Als er 2018 bei uns zu Gast war, hat er die Studierenden wirklich mitgerissen. Die AfD hatte im Landtag einen Antrag eingebracht, der das Klimagesetz gekippt hätte. Da wurde eine scheinbare „Studie“ vorgelegt, gebastelt aus Halbwahrheiten. Die Fachwelt sah sofort: Das ist gar nichts – aber für die Außenwelt kann so etwas sehr überzeugend wirken. Professor Simmer hat rübergebracht, wie sehr ihn das empörte. Dann hören die Studierenden auch sofort zu. Man merkt, ob jemand für sein Fach wirklich brennt. Deswegen ist es so wichtig, die Wissenschaftler in die Gesellschaft zu holen.

Aber die Umstände der Kommunikation haben sich geändert …

Seuser: 500 Themen konkurrieren in der Facebook-Timeline um Aufmerksamkeit, und die jungen Leute wollen alle Informationen auf zwei Bilder reduziert haben. Und das bei einem derart komplexen Thema! Die Herausforderung an die Medienmacher ist riesig.

Ist es seriös, sich darauf einzulassen? Die Klimafrage in zwei Bildern – sorry, das geht nicht, oder?

Seuser: Wir brauchen die einfachen Bilder auf den Kanälen für die jungen Leute. Es hat eine Zäsur stattgefunden. Wenn wir da nicht mitgehen, sind wir einfach weg. Dann wird das Aufmerksamkeitsfeld von anderen besetzt. Man muss die Botschaft auf ein Bild reduzieren; deutlich machen, dass mehr dahintersteckt; die Information so aufarbeiten, dass sie beim Publikum auch ankommt. In manchen Videoclips zur Energiewende findet das auch durchaus statt. Wir müssen auf diese Kanäle gehen! Wir müssen die Leute erreichen!

Wie schafft man das?

Seuser: Am wichtigsten ist, wer dahintersteht. Wenn das coole Leute sind, haben sie Einfluss. Im Gespräch wundere ich mich immer, welchen Zulauf so ein Influencer bekommt, obwohl die Follower durchaus zugeben, dass der oberflächlich auftritt. Aber wir müssen uns trotzdem nach den Rezipienten richten. Wir können nicht sagen: Ihr macht das falsch. Die werden nicht aufhören. Wie wollte man’s aufhalten?

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