Bonner Spitzenforschung Der Immun-Abwehr im Zellkern auf der Spur
Bonn · 8,6 Millionen Euro Förderung: Bonn ist Teil eines neuen Sonderforschungsbereichs der Immunologie. Was sich dahinter verbirgt? Gunther Hartmann hält am Dienstag eine öffentliche Vorlesung über „Nukleinsäure-Immunologie“.
Um überleben zu können, muss jeder Organismus fremdes genetisches Material (beispielsweise von Krankheitserregern) erkennen und ausschalten – und das in jeder Zelle für sich. Das ist leichter gesagt als getan. Schließlich nutzen alle Lebensformen Nukleinsäuren, um darin den genetischen Code abzulegen. Anders als bei körperfremden Molekülstrukturen ist also nicht auf den ersten Blick erkennbar, ob eine Nukleinsäure-Sequenz zum eigenen oder zu fremdem Erbgut gehört. Werden jedoch fremde Erbinformationen abgelesen, drohen Fehlfunktionen der Zelle und schlimmstenfalls der Tod des ganzen Organismus.
Immunologen der Bonner Uni um ihren Sprecher Professor Gunther Hartmann wollen zusammen mit Fachkollegen der TU Dresden und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München dieser körpereigenen Immunität gegen fremde Nukleinsäuren auf die Schliche kommen und damit die Mechanismen des körpereigenen Abwehrsystems verstehen. Die Deutsche Forschungs-Gemeinschaft (DFG) hat dazu jetzt einen von bundesweit 14 neuen Sonderforschungsbereichen (SFB) bewilligt. Insgesamt stellt die DFG für diese Projekte in den kommenden Jahren 164 Millionen Euro Fördergelder zur Verfügung. Davon sollen 8,6 Millionen Euro an den Verbund von Bonn, Dresden und München fließen.
Hartmann wurde von der guten Nachricht in seinem Pfingst-Urlaub überrascht. „Bonn kann erneut seine internationale hohe wissenschaftliche Reputation mit der Bewilligung des Sonderforschungsbereichs “Nukleinsäure-Immunität„ bezeugen“, erklärt der Wissenschaftler. „Insgesamt elf Arbeitsgruppen und sieben Institute sind an dem Verbundprojekt des Universitätsklinikums Bonn mit der LMU München und der TU Dresden beteiligt.“
Die Bonner Uni baut damit ihre Position in der Spitzenforschung weiter aus. Mit vier eigenen und neun Sonderforschungsbereichen im Verbund mit anderen Hochschulen rangiert Bonn in Nordrhein-Westfalen nur knapp hinter dem Spitzenreiter Köln. Insgesamt fördert die DFG bundesweit 256 Sonderforschungsbereiche.
Forscher sind schon ein gutes Stück Weg gegangen
Die Immunologie hat in Bonn seit 15 Jahren einen zentralen Stellenwert und wird von der Bundesregierung derzeit auch als Exzellenz-Cluster umfassend gefördert. Ein Antrag auf Verlängerung ab 2019 befindet sich in der Prüfungsphase. Dabei sind die Wissenschaftler schon ein großes Stück des Wegs gegangen.
Heute kennen sie drei verschiedene Mechanismen zur Erkennung fremder Nukleinsäuren. Dies sind einerseits sogenannte Mustererkennungs-Rezeptoren, die auf charakteristische molekulare Strukturen spezialisiert sind. Docken fremde Nukleinsäure-Liganden an diesen Rezeptoren an, löst das verschiedene Signalwege aus, die mit einer Reihe von immunologischen Effektor-Funktionen verbunden sind.
Hinzu kommt die Gruppe antiviraler Restriktionsfaktoren, die beim Erscheinen von fremden ungewöhnlichen Nukleinsäuren diese direkt abbauen oder deren Funktion ausschalten. Drittens gibt es Enzyme des Nukleinsäure-Stoffwechsels, die Nukleinsäuren mit bestimmten Merkmalen (Einzelstrang, Doppelstrang, Modifikationen) abbauen oder deren Struktur verändern. „Die Forschungsergebnisse der letzten Jahre haben zu dem Verständnis geführt, dass alle drei Kategorien integrale Bestandteile eines Nukleinsäure-Abwehrsystems sind und eng ineinandergreifen, um fremde Nukleinsäuren unschädlich zu machen“, heißt es in der Projektbeschreibung des SFB.
Besonders interessante Einblicke in die Wechselwirkungen dieser drei Teilbereiche der Nukleinsäure-Abwehr bieten genetische Untersuchungen von Patienten mit entzündlichen Erkrankungen wie dem Aicardi-Goutières-Syndrom. Diese 1984 erstmals beschriebene genetisch heterogene fortschreitende Hirnveränderung gab Medizinern lange Rätsel auf. Viele betroffene Kinder sterben daran schon in jungen Jahren. Sie hat im Verlauf Ähnlichkeiten mit einer Infektion des Fötus im Mutterleib. Jedoch lassen sich keine Anzeichen für eine Infektion nachweisen.
Forschungsverbund möchte Mechanismen aufdecken
Inzwischen ist klar: Die Ursache ist eine Fehlfunktion des angeborenen Immunsystems. Dabei sind die Interferone (das sind Proteine, die die Erbinformationen auf den Chromosomen von fälschlich eingebauter Erbinformation säubern) nicht ausreichend aktiv. Man spricht dabei von einer Interferonopathie. Damit reichern sich fremde DNA-Abschnitte in der Zelle an. Sie funktioniert nicht mehr richtig und stirbt ab. Das hat eine entzündliche Reaktion der Immunabwehr zur Folge.
Untersuchungen haben gezeigt, das bei genetischen Defekten neben den Mustererkennungsrezeptoren des Immunsystems auch die antiviralen Restriktionsfaktoren und die Enzyme des Nukleinsäure-Metabolismus körpereigene Nukleinsäuren fälschlicherweise als körperfremd erkennen und so schwerwiegende entzündliche Erkrankungen verursachen können. Auch über monogenetische Erkrankungen hinaus kommt den drei Teilbereichen zusammen eine zentrale Bedeutung bei verschiedenen entzündlichen Erkrankungen und bei Infektionen zu.
Der Forschungsverbund möchte jetzt die Mechanismen des Nukleinsäure-Abwehrsystems auf molekularer Ebene aufdecken. „Es ist zu erwarten, dass mit den neuen Einsichten in die grundlegende Funktionsweise dieses Systems auch die Konsequenzen einer Fehlsteuerung besser verstanden werden, und damit auch die Krankheitsprozesse bei chronischen Virusinfektionen, bei entzündlichen Veränderungen und bei Autoimmunität”, heißt es in der Projektbeschreibung. Neben neuen Therapie-Ansätzen könnten am Ende auch neue Impfungen gegen entzündliche Erkrankungen stehen.
Gunther Hartmann hält am Dienstag, 29. Mai, ab 18.30 Uhr in Hörsaal 1 der Uni eine öffentliche Vorlesung über „Nukleinsäure-Immunologie“. Weitere Termine der Ringvorlesung finden Sie hier.