Bonner Komparatistin untersucht Romane Der 11. September 2001 im Spiegel der Literatur

Bonn · Die Bonner Komparatistin Dana Bönisch hat Romane zur Katastrophe von 9/11 untersucht. Darin hat sie das Streben des Terrors nach der Wirkung in den Medien beobachtet.

 Die verheerenden Terroranschläge vom 11. September 2001: Das Foto zeigt mit Blick über den Hudson River den Einsturz der weltbekannten Zwillingstürme des World Trade Centers in New York. ARCHIVFOTO: DPA

Die verheerenden Terroranschläge vom 11. September 2001: Das Foto zeigt mit Blick über den Hudson River den Einsturz der weltbekannten Zwillingstürme des World Trade Centers in New York. ARCHIVFOTO: DPA

Foto: picture-alliance / dpa

Es ist eine Dissertation, die unter die Haut geht. Dana Bönisch, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Bonn, hat sich auf die Spuren der globalen Folgen der Anschläge auf New Yorks legendäre Twin Towers begeben.

Es ging ihr um die Folgen, die sich nach jenem schwarzen 11. September 2001 durch den „Krieg gegen den Terror“ der US-Regierung von George W. Bush in der internationalen Literatur finden lassen. „Geopoetiken des Terrors – Visualität und Topologie in Texten nach 9/11“ heißt der Titel der Dissertation, die genau da ansetzt, wo sich jene „ikonischen Bilder“ in unser Hirn hineingefressen haben: Bei den „endlos geloopten, endlos reproduzierten Videosequenzen und Fotografien der brennenden, dunklen Doppeltürme des World Trade Centers“, aus denen schließlich nicht nur verbrannte Leichenteile fallen, sondern auch, sozusagen in die Literatur nach 9/11, „wolkenweise Papier herabschwebt“.

„Es sind auf allen Kanälen plötzlich Bilder zu sehen, die man nicht glaubt, gigantische Staubwolken, einstürzende Wolkenkratzer, Boeing-Flugzeuge, die in Hochhäuser rasen“, heißt es etwa in dem 2004 erschienenen, fast lyrischen Roman „Bryant Park“ von Thomas Peltzer im Rückblick. Klebrige Puderschichten bedecken die verzweifelten Rettungskräfte. Wie Puppen segeln nun auch Verzweifelte aus den Fenstern, knallen auf die Fassade. Rotschwarz wie Feuerbälle durchschlagen die Flugzeuge die riesigen Gebäude, die wie nichts zusammenstürzen. Ein schlimmeres Inferno scheint nicht denkbar.

Der Terror strebte fortan nach Medienwirkung

Die Rolle des Fernsehens wird ab diesem Tag eine andere sein, kommentiert Dana Bönisch. Das Medium habe hier erstmals seine Rolle als strukturierendes und kommentierendes Filterorgan verloren. „Gleichzeitig mit den sprachlosen Nachrichtensprechern sahen weltweit Zuschauer das zweite Flugzeug einschlagen und schließlich beide Türme einstürzen.“ Alles live.

Terrorattacken waren ab diesem Tag explizit medienwirksam oder gar allein für ihre globale Bildproduktion organisiert, folgert Bönisch und zieht für ihre Dissertation zahlreiche internationale Folgeromane etwa aus dem Irak-Krieg heran. Auch dort findet sie nun die Verbindung zwischen Bildprogrammen und Erzählungen eines globalen gewaltsamen Ausnahmezustands.

Literarische Texte haben das Potenzial, Krieg und Terror zu durchdringen, indem sie spaltende Darstellungen überwinden – davon ist die Komparatistin Bönisch überzeugt. Sie untersuchte literarische Beispiele, die einer vereinfachenden Erzählung nach dem Motto „Wir Guten – Ihr Bösen“ entgegenwirken.

Für ihre Textanalysen machte sie, vom Komparatisten Professor Christian Moser betreut, Methoden der Bild- und Raumtheorie sowie der Topologie fruchtbar. Da erkennen die vom grausamen Irak-Krieg heimkehrenden US-Soldaten nicht mehr, dass sich Kriegserinnerungen und Heimaterfahrungen in ihren Köpfen räumlich verschlingen, was als Effekt posttraumatischer Belastungsstörungen zu lesen ist. Da werden mit Ziel Afghanistan plötzlich aus der Wüste von Nevada Drohnenziele „markiert“, und das Bild wird im wahrsten Sinn des Wortes zur Waffe gemacht.

„Der Tausende Kilometer entfernte Zielort ist zu einer abstrahierten Fläche aus Pixeln und Koordinaten geworden – der Krieg wird zum Computerspiel“, sagt Bönisch. Literaturwissenschaftler hätten bislang vor allem die erste Generation der 9/11-Romane untersucht, die häufig aus der Opferperspektive erzählt wurden. Neuere, weitgehend unbeachtete Literatur zum Thema sei deutlich komplexer: Häufig würden darin auch die Täterperspektive, Prozesse der Globalisierung und Abhängigkeitsbeziehungen einbezogen. Dafür ist Bönischs Dissertation eine Fundgrube.

Dana Bönisch: Geopoetiken des Terrors – Visualität und Topologie in Texten nach 9/11. Bonn University Press bei V&R unipress, 235 S., 40 Euro

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