Universität Bonn Bonner Forscher wollen die Landwirtschaft revolutionieren

Bonn · Bonner Exzellenzforschung: Wissenschaftler wollen ein besseres Verständnis der Pflanzen erreichen. Das Ziel ist mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft.

Die Zukunft der Landwirtschaft klingt ein wenig nach Science-Fiction: Um sein Feld zu bestellen, muss der Bauer sich nicht mehr selbst auf seinen riesigen Traktor schwingen, sondern überlässt die Arbeit einem selbstfahrenden Roboter. Präzise fährt dieser die Reihen der Salatköpfe ab. Einem Pflänzchen fehlt ein bestimmter Nährstoff? Kein Problem, der Roboter hat Dünger an Bord. Am nächsten macht sich Unkraut breit? Auch kein Problem, mit einem gezielten Schnitt säbelt der Roboter den Störenfried ab. Ein anderes Exemplar ist von Schädlingen befallen? Der Roboter benetzt es behutsam mit Insektizid.

Noch ist das eine Vision. Die Betonung liegt auf noch, denn einiges ist im Test schon gelungen. „Wir können in Echtzeit Nutzpflanze von Unkraut unterscheiden. Wir haben einen Prototypen, der ein einzelnes Unkraut entfernt – und der Rest bleibt stehen“, berichtet Heiner Kuhlmann, Professor für Geodäsie an der Uni Bonn. „Unter Testbedingungen können wir Pflanzenkrankheiten identifizieren. Und wir sind auf dem Weg, Nährstoffmangel bei Pflanzen festzustellen. Das wird im Cluster passieren“, ist er sich sicher.

Wenn der Professor von „wir“ und „Cluster“ spricht, meint er die Projektgruppe „Phenorob – Robotics and Phenotyping for Sustainable Crop Production“, die an Robotern für nachhaltigen Pflanzenanbau forscht. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zeichnete sie, wie berichtet, im September als Exzellenzcluster aus. Dadurch erhält die Gruppe in den nächsten sieben Jahren 26 Millionen Euro an Forschungsgeldern. Die Uni und das Forschungszen-trum Jülich steuern noch etwa drei weitere Millionen bei. Unter den 57 ausgezeichneten Clustern ist „Phenorob“ das einzige, das sich mit Landwirtschaft beschäftigt.

Insektensterben, Nitrat im Grundwasser – „die Agrarproduktion hat Auswirkungen auf das Ökosystem“, erklärt Kuhlmann. Die grundlegende Forschungsfrage laute daher: Wie können wir die negativen Einflüsse auf die Umwelt reduzieren, ohne Ertrag einzubüßen? Die Grundlagenforschung des Clusters soll dazu in konkrete Produkte umgesetzt werden. „Der Technologietransfer von der Testfarm zur breiten Anwendung – da ist noch ein Weg zu gehen“, weiß Professor Cyrill Stachniss, Experte für Photogrammetrie und Robotik. Nichtsdestotrotz sei man in puncto Unkrautkontrolle nah dran. „Der Übergang Richtung Markt“ solle in den nächsten Jahren stattfinden. Noch offen ist zum Beispiel, ob der Roboter das Unkraut am Ende abschneiden oder wegbrennen soll. Auch, ob es einen Roboter geben wird, der alles gleichzeitig kann.

Wie wichtig das Projekt ist, verdeutlichen globale Entwicklungen. Zum einen sei da „enormer Druck auf der Nachfrageseite“ durch eine wachsende Weltbevölkerung, sagt Kuhlmann. Aktuell steige der Ertrag jedoch nicht proportional zum Bevölkerungszuwachs, sondern weniger stark. Einfach mehr anzupflanzen, sei nicht möglich, da fruchtbarer Boden ein begrenztes Gut sei. Darüber hinaus landeten längst nicht alle nachwachsenden Rohstoffe auf dem Teller – sondern teilweise im Tank und im Heizofen. Und der Klimawandel tue sein übriges. Mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft und moderne Anbaumethoden seien also dringend notwenig, ist Kuhlmann überzeugt.

Der Ansatz, mit dem das Cluster dabei helfen will, ist selten: Er vereint die biologischen Agrarwissenschaften mit der mathematischen Geodäsie und Informatik. „Da prallen zwei Welten aufeinander“, sagt Professor Kuhlmann. Aber gerade das sei erfolgsversprechend. „Wir glauben daran, dass wir durch diese Kombination aus Pflanzenwissen, dem genauen Messen und Robotik / maschinellem Lernen einen Schlüssel in der Hand haben“, meint Professor Stachniss.

Bevor der erste Roboter vom Band rollen kann, müssen zunächst umfangreiche Daten über Nutzpflanzen gesammelt werden. Das Zauberwort lautet „Phänotypisierung“ – also wie die Gene einer Pflanze beim Wachstum umgesetzt werden. Dazu gehören Merkmale wie Größe, Form und Farbe. „Vor 25 Jahren hat man die ersten Genome sequenziert und gedacht: Wenn man das Genom verstanden hat, ist die Welt erklärt“, sagt Kuhlmann. Doch dann habe sich gezeigt, dass ein weiterer Faktor entscheidenden Einfluss auf den Phänotyp der Pflanze hat: die Umwelt.

Hier kommt die Geodäsie ins Spiel. Mit peniblem Messen von bis zu 50 Merkmalen wollen die Wissenschaftler herausfinden, warum eine Pflanze so wächst, wie sie wächst. Die Daten sollen das Verständnis von Pflanzen verbessern, damit die Forscher Rückschlüsse auf die Züchtung ziehen können. Wenn alles glatt läuft, können sie irgendwann „Vorhersagen über die zukünftige Performance von Pflanzen machen“, hofft Stachniss. „Zu wissen, wie die Pflanze sich in den nächsten drei Wochen entwickeln wird, ist für die Züchtung extrem hilfreich.“

Kuhlmann spricht von der „Digitalisierung der Landwirtschaft“, die bisher vor allem von Experimenten lebe. Dank der Forschung gehe der Trend weg von langwierigen Anbauversuchen hin zu einer effektiveren, „rechenorientierten Landwirtschaft“.

Seine Förderung erhält das Cluster seit Januar. Bis dahin standen zunächst administrative Herausforderungen an: (nicht-)wissenschaftliche Mitarbeiter rekrutieren, Programme aufsetzen, Büros und Wohnungen finden. Bei allein 32 beteiligten Professuren auch keine leichte Aufgabe.

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