Boom auf Studium ohne Abi 29-Jährige studiert ohne Abitur an der Uni Bonn

Bonn · Nina Preisler hat kein Abitur, dafür aber eine berufliche Qualifikation. Sie studiert an der Uni Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften. So hat sie es geschafft.

 Nachbereitung des Seminars: Nina Preisler (Mitte) und ihre Kommilitonen besprechen, was sie zuvor in Biochemie gelernt haben.

Nachbereitung des Seminars: Nina Preisler (Mitte) und ihre Kommilitonen besprechen, was sie zuvor in Biochemie gelernt haben.

Foto: Benjamin Westhoff

Natürlich kann Nina Preisler immer noch morgens um 5.30 Uhr aufstehen. Wenn sie das möchte. Sie muss aber nicht, manchmal reicht auch 7 Uhr. Und ein bisschen mehr Freizeit hat sie jetzt obendrein. Das sind die größten Unterschiede zu ihrem Leben vor ungefähr einem Jahr. Bis September 2017 hat die junge Frau noch als Konditorin im Café Riese an der Kölner Schildergasse gearbeitet, nun studiert sie im zweiten Semester Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften an der Universität Bonn.

Das besondere an ihrer Situation: Die 28-Jährige hat zuvor kein Abitur gemacht. Damit liegt sie – zumindest was die bundesweiten Zahlen betrifft – im Trend. Laut einer jüngst erschienenen Studie des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) hat sich die Zahl der Studierenden ohne allgemeine Hochschul- oder Fachhochschulreife seit 2010 mehr als verdoppelt und lag 2016 bei 57.000.

Seit 2011 zeigte sich auch in Nordrhein-Westfalen ein regelrechter Boom beim Studium ohne Abi. Grundlage dafür war vor allem die Schaffung großzügiger rechtlicher Rahmenbedingungen. Seit zwei Jahren sind die Zahlen beruflich qualifizierter Studienanfänger in NRW laut der Studie zwar fallend. Dennoch liegt NRW beim Anteil der Studienanfänger ohne Abitur mit 4,2 Prozent im Ländervergleich auf dem zweiten Platz hinter Hamburg.

Von den etwa 38.000 Studenten studieren laut Uni Bonn derzeit 91, ohne offiziell die Allgemeine Hochschulreife zu besitzen. Neben den Hochbegabten, die sich schon während der Schulzeit für einen Studiengang einschreiben dürfen, können auch beruflich Qualifizierte unter bestimmten Voraussetzungen mit ihrem Studium beginnen. Diesen Weg hat auch Nina Preisler gewählt.

„In der zehnten Klasse war abzusehen, dass ich das Abitur nicht gut schaffen würde“, erzählt die Kölnerin am Rande eines Treffens mit ihrer Lerngruppe auf dem Campus Poppelsdorf. Also wechselte sie 2007 vom Gymnasium Thusneldastraße in Deutz auf ein Berufskolleg in Ehrenfeld und hatte 2009 ihr Fachabi (Schwerpunkt Ernährungs- und Hauswirtschaftslehre) in der Tasche.

Die Entscheidung fürs Studium

Nach einem Praktikum beim Café Riese bot man ihr dort eine Ausbildung an, nach zweieinhalb Jahren war sie fertige Konditorgesellin. Bis Herbst 2017 zog sie den Job durch, stand regelmäßig früh auf, hatte wenig Freizeit. Zum Wintersemester 2017/18 entschied sie sich für ein Studium. „Hauptsächlich wegen meiner Arbeitszeiten. Auch war der Verdienst relativ gering, und als nicht Selbstständige hatte ich kaum Aufstiegschancen“, sagt sie.

Den Zugang zur Uni empfand sie als unkompliziert: „Ich musste meine abgeschlossene Ausbildung nachweisen und drei Jahre im Job. Das war mit den Zeugnissen kein Problem, also konnte ich anfangen“, berichtet sie. In ihrem Studienfach ist ihr Werdegang nicht die ganz große Seltenheit. Sie kennt schon einen weiteren Konditor und einen Koch, die nun Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften in Bonn studieren.

Derzeit beschäftigt sich die Kölnerin in einem Seminar unter anderem mit der Glykolyse, dem schrittweisen Abbau von Einfachzuckern im Körper. Dabei ist sie froh, gleich zu Beginn eine Clique gefunden zu haben, die auch gleichzeitig eine Lerngruppe bildet. „Was Mathematik und Chemie angeht, wird hier ziemlich viel Oberstufenstoff vorausgesetzt, und den habe ich noch nicht ganz drin“, erzählt die junge Frau. „Aber das macht nichts, die anderen helfen mir.“

Bis jetzt bereut sie ihre Entscheidung nicht. Doch während der Ausbildung und im Job hat sie Geld verdient, jetzt ist die Situation wieder eine andere. Auch da hat sie eine Lösung gefunden. Sie bekommt BAföG und ist bei einer App gelistet, die jeden Tag verschiedene Aushilfsjobs in der Region vermittelt. Ungefähr einmal pro Woche nimmt sie ein Angebot an. Auf diese Weise arbeitete sie schon bei der Modekette Zara an der Garderobe und bei Obi im Lager.

Was sie mit ihrem Bachelor später einmal machen möchte, weiß die 28-Jährige noch nicht so genau. „Was ich mir ganz interessant vorstelle, ist, bei einer Supermarktkette in der Qualitätssicherung zu arbeiten. Oder ich gehe in Richtung Süßwarenherstellung, zum Beispiel bei Haribo oder Lindt“, sagt sie. „Bis dahin möchte ich noch ein bisschen was vom Studentenleben mitbekommen.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Hilfe für Start-ups aus der Hochschule
Wenn Forschende und Studierende zu Gründern werden wollen Hilfe für Start-ups aus der Hochschule
Aus dem Ressort