Gescheiterte Erdklima-Retter

Vor 30 Jahren waren einige Amerikaner kurz davor, den Klimawandel abzuwenden - schreibt Nathaniel Rich auf mehr als 60 Seiten im Magazin der New York Times. Aber sie "versagten". Über das Warum streiten nun weltweit die Klimaschützer. 16 Tage nach der Veröffentlichung hat der Apple-Konzern die Filmrechte an Story und Recherche-Ergebnissen erworben

Dass mehr als 68 Seiten Text zumKlimawandel es schaffen, Debatten auszulösen, ist nichtselbstverständlich in einer Welt, die wider besseres Wissen überdie Folgen immer mehr Treibhausgase in die Atmosphäre bläst.

Damitdas komplette Magazin der New York Times zu füllen, spiegelt aucheinen gewissen Mut, der möglicherweise erst durch einen Präsidentenwie Donald Trump entsteht, der zwar seit einigen Tagen denKlimawandel nicht mehr als Hirngespinst einstuft, aber dass vomMenschen freigesetzte Treibhausgas-Schwaden ihn ausgelöst haben.

Verlorene Erde - wie wir vor 30 Jahren fast das Erdklima gerettethätten" ist der längste Artikel, der jemals in der New York Timeszum Thema am 5. August veröffentlicht wurde. Sätze aus demmonumentalen "Losing-earth"-Beitrag von Nathaniel Rich: "Dass wirals Zivilisation dem Bruch unseres Selbstmordpaktes mit fossilenBrennstoffen so nahe gekommen sind, ist den Bemühungen einerHandvoll Menschen zu verdanken, darunter einem hyperkinetischenLobbyisten und einem arglosen Atmosphärenphysiker, der mit großenpersönlichen Kosten versuchte, die Menschheit vor dem zu warnen,was kommen würde. Sie riskierten ihre Karriere in einerschmerzhaften, eskalierenden Kampagne, um das Problem zu lösen,zuerst in wissenschaftlichen Berichten, später durch konventionellepolitische Überzeugungen und schließlich mit einer Strategie deröffentlichen Beschämung. Ihre Bemühungen waren klug,leidenschaftlich, robust. Und sie haben versagt. Was folgt, istihre und unsere Geschichte."

Was von 1979 bis 1989 passierte, hatRich recherchiert. Dazu interviewte er alle heute noch Lebenden -amerikanische Wissenschaftler, Klimaaktivisten, Politiker - desersten organisierten Kampfes gegen den menschengemachtenKlimawandel und wühlte in Tausenden Seiten in verstaubten Archiven.Eine 18-monatige Recherche, die das Pulitzer Center unterstützthatte.

Rich skizziert, wie ein Haufen Amerikaner vor 30 Jahren, alseinige Demokraten und Republikaner beim Klimawandel noch imGleichschritt marschierten, kurz davor waren, dasmenschenfreundliche Erdklima zu retten - und die USA bereit waren,als Schutzmacht der Erdatmosphäre voranzugehen.

Was Spiegelonlinekürzlich "Journalismus von einem anderen Stern" nannte, kaufte derApple-Konzern, der nach eigener Mission die Welt verbessern will,16 Tage später - für das Recht, daraus einen Film zu machen.Genauer: eine Serie. 1979:

Die Daten aus der kosmischenNachbarschaft, von amerikanischen und sowjetischen Sonden zur Erdegefunkt, gehen James Hansen nicht aus dem Kopf: "Warum ist dieVenus so heiß?", fragt sich der Nasa-Physiker und Astronom. Merkur167 Grad Celsius, Venus 464 Grad, obwohl Venus weiter von der Sonneentfernt liegt als Merkur.

Bald ist klar: Ein extremerTreibhauseffekt hat Venus die Gluthölle beschert. Hansen beginnt zurealisieren, welche Macht das Kohlendioxid (CO2) über dieTemperatur eines Planeten hat. Und was es bedeutet, wenn dieMenschheit weiterhin immer mehr Kohle, Öl und Gas verbrennt unddabei irrwitzige CO2-Mengen freisetzt.

Dass aus dieser fossilenEnergieproduktion Ungemach droht, hatte der Schwede SvanteArrhenius zwar schon 88 Jahre vorher vermutet, aber die Daten vonder Venus waren keine Annahme, sondern Fakten, eine Messung aus derGegenwart der kosmischen Nachbarschaft. Im selben Jahr fragt RafePomerance, Vize-Direktor der Non-Profit-Organisation Friends of theEarth und damit ein Lobbyist des Planeten, eine Bürokollegin, obsie jemals etwas von einem menschengemachten Treibhauseffekt gehörthabe. Sie schüttelt mit dem Kopf: Nein, sie habe bisher nicht davongehört.

Rafe Pomerance war ein Absatz auf Seite 66 einerregierungsamtlichen Publikation zur Kohle aufgefallen. Dort war zulesen, dass die weitere Nutzung fossiler Brennstoffe binnen 20 bis30 Jahren zu schädlichen Veränderungen in der globalen Lufthülleführen könnte. Hansen, "der arglose Atmosphärenphysiker", undPomerance, "der hyperkinetische Lobbyist", sind die Hauptakteure indieser Dokumentation, die sich wie ein Krimi liest - in eineramerikanischen Zeit, in der einige Demokraten und einigeRepublikaner (zumindest in dieser Frage) hinter den Kulissengemeinsam mit besorgten Wissenschaftlern agierten.

Wären da nichtder von der Ölindustrie gesponserte US-Präsident George W. H. Bush,der in seinem Wahlkampf 1988 den "White House Effect" gegen den"Greenhouse Effect" setzte, und sein Stabschef John Sununu gewesen.Beide verhinderten den großen Wurf der Rettungsaktion. Am 7.November 1989, zwei Tage vor dem Mauerfall in Berlin, verweigertensich die USA im niederländischen Noordwijk, als die Delegierten aus60 Ländern einen ersten Vertrag gegen die Treibhausgase schließenwollten.

Noch schlimmer: Sununu, so Rich, überzeugte dieDelegierten aus Japan und der Sowjetunion, den USA zu folgen. Undso kam es. Auszug aus dem New-York-Times-Report: "Als ich JohnSununu nach seiner Rolle in dieser Geschichte fragte - ob er sichpersönlich dafür verantwortlich fühlte, die beste Chance für einenwirksamen Vertrag gegen die globale Erwärmung zu töten, sagte ermir: “Es konnte nicht passieren, denn, offen gesagt, waren dieFührer der Welt zu dieser Zeit in einer Phase, in der sie alledarauf bedacht waren, die Politik zwar zu unterstützen, ohne harteVerpflichtungen eingehen zu müssen."

Die Staatschefs wollten nurden Anschein wahren, sie würden das Klima schützen, ohne sichkonkret zu verpflichten. Rich zitiert Sununu: "Ehrlich gesagt,stehen wir auch heute noch an diesem Punkt." Rich bezeichnet dieDekade 1979 bis 1989 als jene, in der die Menschheit denKlimawandel fast gestoppt hätte. 30 Jahre liegen zwischen damalsund heute - eine Zeit, die heute zum Gegensteuern fehlt, weil dieEmissionen ungedrosselt weiter gestiegen sind.

Detailliertbeschreibt er die millionenschweren Desinformationskampagnen derUS-Ölindustrie, aber auch die grundsätzlichen Betrachtungen vonÖkonomen, Politikwissenschaftlern und Philosophen vor 30 Jahren.Der Yale-Ökonom William D. Nordhaus, einst Mitglied der Beratercrewvon US-Präsident Jimmy Carter und kürzlich mit demWirtschafts-Nobelpreis ausgezeichnet, habe damals eineKohlenstoffsteuer vorgeschlagen, aber gleichzeitig eineinternationale Vereinbarung dazu für unwahrscheinlich gehalten.

UndMichael Glantz, 1979 Politologe am nationalen US-Center füratmosphärische Forschung, "argumentierte, dass demokratischeGesellschaften verfassungsrechtlich nicht in der Lage seien, mitdem Klimaproblem umzugehen. Der Wettbewerb um Ressourcen bedeutet,dass keine Krise jemals das öffentliche Interesse so langebefriedigen kann", wie es der Klimawandel über Jahrzehnteerfordere.

Viele dieser Theorien teilten, so Rich, ein gemeinsamesPrinzip: "Dass Menschen, ob in globalen Organisationen,Demokratien, Industrien, politischen Parteien oder als Individuen,nicht in der Lage sind, den gegenwärtigen Komfort zu opfern, umeine Strafe für künftige Generationen zu verhindern." Sein letzterSatz ist eine Frage: "Ist es ein Trost oder ein Fluch - das Wissen,dass wir das alles hätten vermeiden konnten?"

Richs Fazit, dass dieRettung des Erdklimas damals nicht von einem "Schuldigen", etwa vonRepublikanern oder der Ölindustrie, verhindert worden ist, sondernletztlich von einem unausgesprochenen Konsens über den Erhalt desKomforts auf Basis fossiler Brennstoffe, hat unter Klimaschützerneine Kontroverse ausgelöst.

Einige Auszüge. Im Zentrum der Debattesteht die Frage, wann die von Öl- und Autoindustrie finanziertenund professionell gemanagten Klimawandelleugner-Kampagnen in denUSA genau starteten. Weckte erst James Hansen am 23. Juni 1988 mitseinem Vortrag vor dem US-Kongress die fossile Lobby auf?

Einen Tagspäter erschien die globale Erwärmung erstmals auf Seite eins derNew York Times. Oder fühlte die ihre Interessen von US-PräsidentRonald Reagan (1981-1989) bereits ausreichend geschützt?Schließlich hatte schon Reagan alle Umweltschutz-Budgets und diefür die Solarenergie-Förderung rigoros zusammengestrichen, auchdurfte die Industrie bereits damals - wie heute unter Trump -Umweltschutzstandards mitformulieren.

Wenn es denn in den 1980erJahren einen großen, aber eher zufälligen Gegner des Klimaschutzesgegeben habe, dann sei dies die Idee der Marktderegulierunggewesen, schreibt die kanadische Publizistin undKapitalismus-Kritikerin Naomi Klein. George Bush sen. und MargaretThatcher seien damals die eifrigsten Fürsprecher der Vorstellunggewesen, dass der freie Markt für jedes Problem die preisgünstigsteLösung finde.

Ähnlich sehen es die Wissenschaftshistoriker NaomiOreskes (Harvard Universität) und Erik Conway (California Instituteof Technology), die in ihrem in mehrere Sprachen übersetzten Buch"Händler des Zweifels" (2010) akribisch die Instrumente derKlimawandelleugner entlarvt hatten. Sie verweisen darauf, dass oftübersehen werde, dass es eine der stärksten Triebfedern vonKlimaskeptikern sei, staatliche Lenkungsmaßnahmen maximalabzulehnen.

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