Niedergang der Lobbyisten Starke Branchen verlieren politischen Einfluss in Deutschland

Berlin. · Erst die Energie, dann die Banken, jetzt die Autohersteller: Mehrere starke Branchen verlieren den politischen Einfluss in Deutschland. Eine Analyse.

  Früher gab es engere Kontakte:  Matthias Wissmann, damals Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (3.v.l.) 2012 mit  Ex-Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (v.l.), Ex-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle und Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer.

Früher gab es engere Kontakte: Matthias Wissmann, damals Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (3.v.l.) 2012 mit  Ex-Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (v.l.), Ex-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle und Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer.

Foto: picture alliance //R4200

Für Hildegard Müller läuft es nicht gut. Nach wenigen Monaten im Amt musste die Chefin des Auto-Verbands VDA eine herbe Klatsche einstecken: Obwohl sie als frühere Staatsministerin im Kanzleramt einen guten Draht zu Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Autoländer Bayern und Niedersachsen an ihrer Seite hat, gelang es der 52-Jährigen nicht, beim Poker um das Konjunkturpaket eine Kaufprämie für Neuwagen durchzusetzen. Und so blieb Müller nur, gute Miene zum verlorenen Spiel zu machen: „Der VDA bedauert, dass die Vorschläge für einen unmittelbar wirksamen Konjunkturimpuls nur zum Teil aufgenommen wurden.“

Es dürfte für Müller nur ein schwacher Trost sein, dass es vor allem die Konzernchefs waren, die die Hilfe verwirkten. Allen voran VW-Chef Herbert Diess, der sich mit seinen arroganten Auftritten wenig Freunde in Berlin machte. Bis heute hat VW weder den Dieselskandal aufgearbeitet, noch betrogene Kunden angemessen entschädigt. Sprüche wie „Ebit macht frei“ diskreditieren den VW-Chef ebenso wie ein rassistischer Werbeclip des Konzerns, in dem eine weiße Hand einen schwarzen Mann wegschnippt.

Hinzu kommt, dass die Branche den Klimawandel nicht ernsthaft angeht. Sie spart im Gegensatz zur Stromwirtschaft kaum Kohlendioxid ein. Und dann ging der Branche noch ihr früherer Verbündeter von der Fahne: die SPD. „Nach den Beschäftigten der Energiebranche gibt die Sozialdemokratie mit ihrer eher populistischen Ablehnung von Fördermitteln für die Autoindustrie den nächsten Teil ihrer klassischen Wählerschaft auf“, sagte Sigmar Gabriel, der frühere SPD-Chef, unserer Redaktion. „Klimapolitik ist ihr inzwischen wichtiger als die Interessenvertretung von Arbeitnehmern.“ Und: „Die achselzuckende Bemerkung, für den Klimaschutz ginge das nun mal nicht anders, finden die Betroffenen einfach nur zynisch. So etwas können sich Grüne leisten, aber nicht Sozialdemokraten.“

Gewerkschaft IG Metall verliert Einfluss

Aber auch die IG Metall hat an Einfluss verloren. Daran ist für Gabriel die Gewerkschaft selbst schuld: „Die IG Metall und ihr Vorsitzender tragen auch selbst Verantwortung für diese Entfremdung. Wer immer nur dann zur SPD geht, wenn die Hütte brennt, aber ansonsten lieber auf Distanz bleibt, der muss sich nicht wundern, wenn die Bindekräfte zwischen SPD und Gewerkschaft immer schwächer werden.“ Gabriel hätte die Kaufprämie unter Bedingungen begrüßt: wenn Emissionen sinken und die Konzerne auf Dividenden und Boni verzichtet hätten. „Die Autoindustrie hat sich durch Betrug, Manipulation, irrsinnige Gehälter und Boni selbst an den Rand der Gesellschaft manövriert“, sagt der Mann, der einst als VDA-Chef gehandelt worden war.

Es ist nicht die erste Branche, die einst mächtig war und sich dann selbst ins Abseits stellte. Ähnliches schaffte die Energiebranche: Als 2005 der Handel mit Emissionszertifkaten eingeführt wurde, setzte die Branche durch, dass sie massiv mit kostenlosen Zertifikaten ausgestattet wurde – um dann doch die Großhandelspreise zum Schaden der Verbraucher zu erhöhen. Eon wurde der wertvollste deutsche Konzern. „Da fühlt sich die Politik verschaukelt, da riss der Faden“, sagte ein Branchenkenner. 2010 legte RWE-Chef Jürgen Großmann nach und inszenierte einen „Energiepolitischen Appell“, den 40 Manager und Politik unterschrieben und in dem sie für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke warben. Merkel fühlte sich von dem großmäuligen RWE-Chef unter Druck gesetzt. Als im März 2011 Reaktoren in Fukushima barsten, setzte sie den Atomausstieg durch. Neun Jahre später lässt sie den Kohleausstieg beschließen, RWE und Co. konnten nur noch über die Höhe der Abfindung streiten.

Arrogante Manager hatte auch die Bankbranche zu bieten. In der Finanzkrise 2008 kämpften Merkel und ihr Finanzminister Peer Steinbrück gegen den Zusammenbruch des Bankensystems und spannten für Geldinstitute milliardenschwere Schutzschirme auf. Immer mit dabei: Josef Ackermann, damals Chef der Deutschen Bank. Und was sagte er später? „Ich würde mich schämen, wenn wir in der Krise Staatsgeld annehmen.“ Die Kanzlerin war irritiert und verzichtete dankend auf weitere Hilfe. Dass die Bank später in einem Strudel von Tausenden Prozessen versank, belegt, dass Hochmut vor dem Fall kommt. Die Aktie ist heute nicht mal mehr ein Zehntel ihres Rekordstands wert.

Finanzkrise, Fukushima, Corona-Krise – auf Politik nach dem Motto „Gewinn privatisieren, Verluste sozialisieren“ hat die Kanzlerin zu Recht keine Interesse mehr. Der Steuerzahler übrigens auch nicht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort