Industrie Siemens verschenkt Aktien an eigene Aktionäre

MÜNCHEN · Der Konzern will seine kriselnde Kraftwerksparte abspalten und an die Börse bringen. Die Aktien werden an bestehende Siemens-Aktionäre verschenkt.

 „Das ist eine fundamentale Veränderung der DNA unseres Unternehmens“, sagt Siemens-Chef Joe Kaeser.

„Das ist eine fundamentale Veränderung der DNA unseres Unternehmens“, sagt Siemens-Chef Joe Kaeser.

Foto: dpa

Manchmal werden Konzernlenker pathetisch. „Das ist eine fundamentale Veränderung der DNA unseres Unternehmens“, betont Siemens-Chef Joe Kaeser. Er übertreibt nicht. Gemeint ist zum einen sein Plan, das kriselnde Geschäft mit konventionellen Kraftwerken auszugliedern und an die Börse zu bringen. Zum anderen betrifft die Veränderung des Siemens-Erbguts den neuen industriellen Kern des 1847 gegründeten Konzerns. Denn der wird nach allen Häutungen konzentriert in hochprofitablen Digitalgeschäften zu finden sein. Selbst diese werden einem massiven Wandel unterworfen. Bis 2023 sollen im neuen Kerngeschäft global 10.400 Stellen abgebaut und parallel 20.500 Jobs neu aufgebaut werden. Was das für heimische Jobs bedeutet, ist völlig offen.

Der Reihe nach. Das Kraftwerksgeschäft wird nach dem Vorbild der Ex-Tochter Osram ausgegliedert. Die Aktien der neuen Kraftwerks-AG, die das Wort Siemens im Namen tragen soll, werden an bestehende Siemens-Aktionäre verschenkt und so bis September 2020 an die Börse gebracht. Als Mitgift erhält die Abspaltung die 59 Prozent Mehrheitsanteil, die der Mutterkonzern am deutsch-spanischen Windkraft-Spezialisten Siemens Gamesa hält. Für Kaeser entsteht damit ein neuer Energie-Riese, der von erneuerbaren Energien über konventionelle Kraftwerke bis zu Stromübertragung und Speichertechnologien alles aus einer Hand bietet.

Ein Problem weniger

Gleichzeitig ist der Mutterkonzern ein Problem los. So sieht es zumindest die Börse. Der Siemens-Aktienkurs ist als Reaktion auf die Pläne um rund fünf Prozent auf gut 107 Euro gestiegen. Für die Kraftwerksparte selbst sehen Analysten dagegen vorerst keinen Mehrwert durch ihre Ausgliederung. „Überkapazitäten am Markt bleiben“, sagt einer von ihnen mit Blick auf den Bau großer Gasturbinen. Zudem entstehe dadurch, dass die künftige Kraftwerks-AG 59 Prozent der Siemens Gamesa-Anteile übernimmt, kein integrierter Gesamtkonzern aus einem Guss.

Siemens bleibt als Ankeraktionär mit gut einem Viertel der Anteile langfristig an Bord der künftigen Kraftwerks-AG. Auf diese entfällt mit 70 Milliarden Euro die Hälfte des gesamten Auftragsbestands, der in den Büchern des heutigen Siemens-Konzerns steht. Der neue Branchenriese kommt auf 30 Milliarden Euro Umsatz und 80 000 Beschäftigte, was trotz sinkender Tendenz je ein Viertel Anteil am Gesamtkonzern ist.

Der neue industrielle Siemens-Kern, der aus Digitalgeschäften und intelligenter Infrastruktur mit Gebäudetechnik besteht, hat voriges Geschäftsjahr addiert 30 Milliarden Euro umgesetzt. Siemens wird mit dem Börsengang der Kraftwerkssparte auch endgültig zur operativen Holding. Die Medizintechnik ist schon an der Börse. Beim Bahntechnikgeschäft ist das wohl nur eine Frage der Zeit. Welche Dimensionen hier bewegt werden, verdeutlicht eine andere Vision Kaesers. Er sieht künftig mindestens drei Siemens-Konzerne im führenden deutschen Aktienindex Dax. Neben dem neuen alten Traditionskonzern wäre das die Kraftwerks-AG und das als Healthineers firmierende Medizintechnikgeschäft. Auch die Bahntechnik hätte Dax-Niveau. Was das alles für das Personal vor allem in Deutschland bedeutet, ist offen.

Über 20.000 Beschäftigte betroffen

Von der Kraftwerksabspaltung sind bundesweit fast 20 Standorte mit deutlich über 20.000 Beschäftigten betroffen. Zentren sind Berlin, Duisburg, Erlangen, Mülheim oder Offenbach. Der neue Teilkonzern übernimmt eine Vereinbarung, die Mutter Siemens mit der IG Metall getroffen hat. Damit sind betriebsbedingte Kündigungen so gut wie ausgeschlossen. Die IG Metall sieht es auch als fest vereinbart an, dass die Zentrale der künftigen Kraftwerks-AG in Deutschland liegt. Kaeser lässt das aber ausdrücklich offen.

Um die Zukunft des Standorts Deutschland geht es auch beim neuen Siemens-Kerngeschäft rund um Digitaltechnik und Infrastruktur. Denn die 10.400 Stellen, die Siemens global abbauen will, dürften vor allem auch Deutschland treffen. Das gilt speziell für die 2500 Jobs, die es in Zentralbereichen trifft. Siemens-Zentralen liegen vor allem in Deutschland. Die 20.500 Stellen wiederum, die parallel aufgebaut werden sollen, sind ein Hoffnungswert. Sie basieren auf Wachstumsannahmen, so Kaeser. „Man baut auf, wo Bedarf ist“, sagt Kaeser vage. Wachstumsmärkte liegen heute vor allem in Asien und weniger in Deutschland.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort