Vertrauensbruch Rentner fühlen sich von Krankenkassen betrogen

Bonn · Seit 2004 muss auf die betriebliche Altersvorsorge der volle Krankenkassenbeitrag gezahlt werden. Alle Klagen vor Gericht haben nicht geholfen. Besonders ärgern sich Direktversicherte.

Die betroffenen Rentner empört es bis heute: Das Geschenk der damaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) an die gesetzlichen Krankenkassen, die seit 2004 den vollen Beitragssatz auf Betriebsrenten, Direktversicherungen und Versorgungsbezüge wie Beamtenpensionen erheben dürfen. Allein durch den Krankenkassenbeitrag auf Direktversicherungen sind den Kassen seit dem 25 Milliarden Euro zugeflossen, wie der Verein der Direktversicherungsgeschädigten (DVG) ausgerechnet hat.

GA-Leser Volkmar Koch spricht von „Schande“ und „glattem Betrug“, weil es damals keine Übergangsregelung gab. Er hatte seine Kapitallebensversicherung 1979 über den Arbeitgeber im Glauben abgeschlossen, sie würde ihm später abgabenfrei ausgezahlt. Nun werden ihm rund 40 000 Euro entgehen – so viel werden ihn die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge kosten, die er über zehn Jahre auf die ausgezahlte Summe entrichten muss, zu der auch noch eine Abschlusszahlung seines Arbeitgebers zählt.

Die Höchststrafe

„Ich habe die Höchststrafe erhalten“, lautet sein Kommentar. Denn Kranken- und Pflegeversicherung kosteten ihn heute mehr als in seiner aktiven Zeit, berichtet der Rentner, der Steuerberater war. Kochs Klage vor dem Sozialgericht Köln gegen die Abzüge blieb erfolglos. „Die beamtete Richterin befand, es sei halt Gesetz“, berichtet er. Diese Erfahrung haben auch die anderen Kläger gemacht, die bis in die höchsten Instanzen gingen. Weder das Bundessozialgericht noch das Bundesverfassungsgericht wollten die Beschwerden überhaupt annehmen.

Zusammen ist man stärker: Inzwischen kämpft der DVG als Verein für die Abschaffung der Beitragspflicht, die nach seinen Berechnungen 6,3 Millionen Rentner mit Direktversicherungen trifft. Weil sie bei den Gerichten kein Gehör fanden, gehen sie nun für ihre Rechte auf die Straße. Bei manchen Betroffenen wie Rudolf Mühlbauer geht die Wut auf die hohen Abzüge so weit, dass sie eine Verschwörung im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts mutmaßen, der, so wollen sie festgestellt haben, gar nicht für ihre Klagen zuständig sei, sich aber regelmäßig die Verfahren zuschustere. In einem Brief an Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle wirft Mühlbauer dem Ersten Senat vor, „Rechtsbeugung“ zu betreiben und „zur Abschaffung der Demokratie“ in Deutschland beizutragen.

Verfassungsrechtler spricht von Menschenrechtsverletzung

Der Verfassungsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider, der Betroffene vor Gericht vertritt, sagt, solche Vorwürfe seien haltlos. Die Zuständigkeit des Ersten Senats sei unstrittig. Schachtschneider ist aber überzeugt, dass die Erhebung von Krankenkassenbeiträgen auf Direktversicherungen eine „klare Eigentums- und Gleichbehandlungsverletzung“ sei. „Ich habe auch keinen Zweifel, dass es sich um Menschenrechtsverletzung handelt“, sagt der emeritierte Juraprofessor, der einen Mandanten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertrat. Auch diese Beschwerde ist im Januar gescheitert.

Nicht immer sind Richter dermaßen taub. Im Jahr 2000 hatte das Bundesverfassungsgericht die unterschiedliche Behandlung von Pflichtversicherten und freiwillig Krankenversicherten kritisiert. Während Erstere auf Betriebsrenten nur den halben Beitragssatz zahlten, mussten die anderen den vollen Satz entrichten. Die damalige rot-grüne Koalition reagierte auf das Urteil im Frühjahr 2002. Das Ergebnis war, dass seit dem alle krankenversicherten Rentner nur noch den halben Beitragssatz auf Betriebsrenten zahlten. Es wird kein Zufall gewesen sein, dass im Herbst Bundestagswahlen waren.

Erstmals wurden auch Direktversicherte mit Beiträgen belangt

Dann aber kam ein Jahr später das Gesundheitsmodernisierungsgesetz, das Rot-Grün mit Unterstützung der Union verabschiedete. Weil die gesetzliche Krankenversicherung Geld brauchte, war nun wieder der volle Beitragssatz (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil) auf Betriebsrenten und Pensionen fällig – und zum ersten Mal auf Direktversicherungen.

Am stärksten betrogen fühlen sich die Direktversicherten. Oftmals haben sie die Beiträge in eine Kapitallebensversicherung ganz aus eigenem Einkommen – ohne Arbeitgeberzuschüsse – gezahlt. Mit einer Betriebsrente vergleichen lässt sich eine solche Anlageform nur, weil der Arbeitgeber in der Ansparphase als Versicherungsnehmer fungiert. Ansonsten funktioniert sie wie eine private Kapitallebensversicherung, auf die bis heute keine Krankenkassenbeiträge entrichtet werden.

Linnemann wäre gern "einen ersten Schritt" gegangen

Kritiker sprechen von einer Dreifachverbeitragung, weil Krankenkassenbeiträge schon auf das frühere Gehalt gezahlt wurden und später in doppelter Höhe auf die ausgezahlte Lebensversicherungssumme. Den Bundestagsabgeordneten dämmert langsam, dass es ein Problem gibt. Carsten Linnemann, Chef der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, sagt: „Das ist ein klarer Eingriff in Eigentum für diejenigen, die vor 2004 einen Direktversicherungsvertrag abgeschlossen haben und heute noch mal Beiträge entrichten müssen.“ Sein Versuch, in den Koalitionsvertrag mit der SPD eine Lösung einzubauen, blieb dennoch erfolglos. „Ich wäre gern einen ersten Schritt gegangen.“

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