Luft muss sauberer werden Problem Diesel: Scheuer nimmt Autoindustrie in die Pflicht

Berlin · Um Fahrverbote zu vermeiden, muss die Luft in den Städten schnell sauberer werden. Vorschläge der Modellregionen liegen jetzt vor. Aber auch die Hersteller sollen ihren Beitrag leisten.

 Die Bundesregierung will die Luftqualität in den Städten mit einem Bündel von Maßnahmen verbessern - auch auf Druck der EU-Kommission.

Die Bundesregierung will die Luftqualität in den Städten mit einem Bündel von Maßnahmen verbessern - auch auf Druck der EU-Kommission.

Foto: Patrick Pleul

Der neue Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer will Fahrverbote in deutschen Städten vermeiden und mit der Autoindustrie über Nachbesserungen für weniger Schadstoffe verhandeln.

"Ich setze auf die Vernunft der Konzerne und werde sehr schnell Gesprächsrunden organisieren", sagte der CSU-Politiker der "Passauer Neuen Presse". "Samthandschuhe gehören angesichts der Dimension der Probleme jetzt nicht in den Instrumentenkasten." Der Minister betonte: "Die Kosten für die Umrüstung und die Beseitigung der Manipulationen dürfen am Ende nicht beim Verbraucher und beim Steuerzahler hängen bleiben."

Nach Worten des neuen Kanzleramtschefs Helge Braun (CDU) müssen die Hersteller dafür sorgen, dass auch manipulierte Diesel-Fahrzeuge die Abgasgrenzwerte einhalten. "Natürlich müssen die betroffenen Autohersteller jene Fahrzeuge mit einer illegalen Abschalteinrichtung so lange nachrüsten, bis sie den gesetzlichen Zulassungsanforderungen entsprechen", sagte Braun der "Rheinischen Post". "Wir schonen die Unternehmensführungen in der Industrie nicht", fügte er hinzu.

Zu möglichen Fahrverboten äußerte sich Braun ablehnend. Als letztes Mittel könnten vor Ort Umfahrungen oder Verkehrsbeschränkungen ausgewiesen werden. "Aber großflächige Innenstadtfahrverbote können wir den Dieselfahrern nicht zumuten."

Die Bundesregierung will die Luftqualität in den Städten mit einem Bündel von Maßnahmen verbessern - auch auf Druck der EU-Kommission, die wegen anhaltender Grenzwertüberschreitungen etwa bei Stickoxiden mit hohen Strafen droht. In fünf "Modellstädten" soll dies getestet werden: Bonn, Essen, Herrenberg, Reutlingen und Mannheim.

Die drei Modellstädte in Baden-Württemberg haben ihre Vorschläge zur Senkung der Stickoxidbelastung nun vorgelegt. Weder Herrenberg noch Reutlingen oder Mannheim fordern dabei einen vollkommen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, wie es ursprünglich vom Bund angedacht worden war. Eine Ausweitung und Verbesserung des ÖPNV-Angebots wird jedoch von allen angepeilt.

Zentraler Punkt der Herrenberger Vorschläge ist eine digitale Verkehrslenkung und -steuerung auf den Hauptverkehrsachsen. Auch der öffentliche Nahverkehr soll ausgebaut werden, etwa durch bessere Taktzeiten im Busverkehr und ein vergünstigtes City-Monatsticket.

Reutlingen will Dieselfahrer dazu bringen, ihren Wagen stehen zu lassen. Wer zunächst für ein Jahr freiwillig auf sein Fahrzeug verzichtet, soll ein kostenloses Jahres-Abo für den Verkehrsverbund Neckar-Alb-Donau bekommen. Mit Blick auf Familien gibt es zudem die Jahresmitgliedschaft bei einem lokalen Carsharing-Anbieter, auch Taxi-Gutscheine und eine Bahncard50 sind möglich.

Mannheim habe "ein umfassendes Programm zur Einhaltung der Grenzwerte vorgelegt", sagte Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD). Konkret nannte er beispielsweise eine zielgerichtete Ausweitung des Jobtickets für den Einzelhandel oder die Absenkung des ÖPNV-Grundpreises. Kurz forderte, "dass der Bund zu seiner Verantwortung steht und die Nachrüstung von Dieseln durch die Autoindustrie durchsetzt".

FDP-Fraktionsvize Michael Theurer sagte, zum Verhindern von Fahrverboten seien auch Hardware-Nachrüstungen auf Kosten der Hersteller nötig. "Das erst wäre das entscheidende Signal der Autoindustrie: Ja, wir haben verstanden", sagte Theurer der dpa.

In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sagten 76 Prozent der Dieselfahrer, sie wären nicht bereit, die Kosten für Umbauten an Motorsteuerung oder Katalysator aus eigener Tasche zu finanzieren. Wiederum 53 Prozent davon würden einen Gang vor Gericht erwägen, um den Autobauer auf Rücknahme des Dieselwagens gegen Rückerstattung des Kaufpreises zu verklagen - sollte ein Fahrverbot konkret verhängt werden und der Hersteller die Nachrüstkosten nicht übernehmen wollen.

Nur 12 Prozent der Befragten wären damit einverstanden, eigenes Geld in eine Erneuerung der Abgasanlage zu investieren, falls dies technisch machbar ist und sich so ein Fahrverbot für den eigenen Diesel abwenden lässt. Die Autokonzerne beteiligen sich bisher an einem beim "Dieselgipfel" beschlossenen Fonds und bieten kostenlose Updates der Abgas-Software an. Hardware-Umrüstungen schließen sie mit Verweis auf die hohen Kosten und die schwierige Umsetzung jedoch aus.

Ende Februar hatte das Bundesverwaltungsgericht geurteilt, dass kommunale Behörden im Prinzip Diesel-Fahrverbote anordnen dürfen, wenn die Schadstoffbelastung der Stadtluft sich anders nicht wirksam senken lässt und die Verhältnismäßigkeit - etwa durch Ausnahmen für Dienstfahrzeuge oder Handwerker - gewährleistet ist.

Angesichts der Dieseldebatte rechnet die Mehrheit der von YouGov befragten Besitzer eines Selbstzünders mit hohen oder gar drastischen Wertverlusten ihres Autos. Insgesamt 64 Prozent nehmen dies an, 27 Prozent sehen demgegenüber nur geringe oder keine Verluste des Wiederverkaufswerts. In den vergangenen Monaten waren sowohl die Diesel-Anteile an den Neuzulassungen als auch die Restwerte von Dieseln auf dem Gebrauchtwagen-Markt stark unter Druck geraten.

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