Weg von der schwarzen Null? Politiker fordern Investitionsoffensive

Berlin · Die Wirtschaftsleistung ist im zweiten Quartal um 0,1 Prozent gesunken. Die niedrigen Zinsen fördern den Konsum. Binnenwirtschaftlich orientierte Unternehmen profitieren von der hohen Konsumnachfrage.

 Der private Konsum stützt derzeit die deutsche Wirtschaft. FOTO: DPA

Der private Konsum stützt derzeit die deutsche Wirtschaft. FOTO: DPA

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Die leichte Schrumpfung der Wirtschaft im zweiten Vierteljahr hat die bereits laufende Debatte über eine Abkehr von der „schwarzen Null“ im Bundeshaushalt beflügelt. Grünen-Chef Robert Habeck, dessen Partei in Umfragen weiter fast gleichauf mit der CDU liegt, forderte eine „breit angelegte Investitionsoffensive“ für Klimaschutz, die Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen sowie einen höheren Hartz-IV-Satz zur Ankurbelung der Inlandsnachfrage. Zahlen nannte Habeck nicht, er hatte jedoch zuvor schon das Festhalten der großen Koalition an der Nullverschuldung im Haushalt als „Voodoo-Ökonomie“ bezeichnet. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sowie führende Ökonomen fordern, die Politik der „schwarzen Null“ angesichts der Konjunkturschwäche aufzugeben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gab der Regierung dagegen vor, Ruhe zu bewahren.

Wachsende Exportprobleme

Die Wirtschaftsleistung zwischen April und Juni sank um 0,1 Prozent im Vergleich zum Vorquartal, teilte das Statistische Bundesamt am Mittwoch mit. Im ersten Vierteljahr gab es noch ein robustes Wachstum von 0,4 Prozent. Die aktuelle Schwäche resultiert fast ausschließlich aus wachsenden Exportproblemen der Industrie. Wegen des Handelsstreits zwischen den USA und China sind Abnehmer deutscher Produkte im Ausland vorsichtig geworden, ebenso lastet der mögliche harte Brexit auf dem Export. Dagegen stützen die Verbraucher im Inland die Konjunktur. Binnenwirtschaftlich orientierte Unternehmen profitieren von der hohen Konsumnachfrage, die durch den Beschäftigungshöchststand, gute Gehaltszuwächse und niedrige Sparzinsen stimuliert wird.

Nach fast zehn Jahren Aufschwung stehe die deutsche Konjunktur jetzt „auf der Kippe“, sagte Sebastian Dullien, Chef des gewerkschaftsnahen In-stituts für Konjunkturforschung und Makroökonomie (IMK). Die Gefahr einer Rezession liege jetzt bei mehr als 40 Prozent. Für das zweite Halbjahr hätten die Konjunkturrisiken wegen des Brexits und der neuen Drohungen des US-Präsidenten in den Handelskonflikten eher zugenommen.

Grünen-Chef Habeck für aktives Gegensteuern

Grünen-Chef Habeck forderte ein aktives Gegensteuern der Regierung durch mehr kreditfinanzierte Ausgaben, begründete dies allerdings weniger mit der schwachen Konjunktur als mit einer drohenden „Strukturkrise“ durch den Klimawandel. Habeck befand sich allerdings in seltener Eintracht mit der Industrie: Auch BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang stellte die Nullverschuldung in Frage. „Die Politik muss rasch kräftige Impulse für die öffentliche und private Investitionstätigkeit setzen“, sagte er. Deutschland habe dafür den finanziellen Spielraum. „Die Schuldenbremse, die im Grundgesetz verankert ist, ist entscheidender als das Erreichen einer sogenannten schwarzen Null. Finanzpolitisch muss Deutschland jetzt umschalten“, sagte Lang.

Die Bundesregierung wies das zurück. Ein Sprecher von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte, es seien bereits konjunkturwirksame Maßnahmen auf den Weg gebracht worden oder seien geplant - wie die weitgehende Abschaffung des Solidaritätspakts 2021. Er verwies außerdem auf Rekordinvestitionen des Staates. Scholz und Merkel hatten zuvor erklärt, am Prinzip der Politik ohne neue Schulden festzuhalten.

Goldene Regel gefordert

Das halten manche Ökonomen für grundfalsch. „Es ist ökonomisch richtig und vernünftig, Zukunftsinvestitionen über Kredite zu finanzieren“, sagte IMK-Chef Dullien. „Ausgaben in den Klimaschutz und die Dekarbonisierung sind ganz typische Zukunftsinvestitionen.“ Die Schuldenbremse und die „schwarze Null“ seien ökonomisch unvernünftig, weil sie mit ihrer Zielsetzung Staatskonsum und Zukunftsinvestitionen gleich setzten. „Sinnvoll wäre, die Schuldenbremse mindestens um eine goldene Regel zu erweitern, die Schuldenaufnahme im Umfang von Nettoinvestitionen erlaubt.“

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