Bitkom-Präsident Berg im Interview "Jeder Erstklässler sollte ein Handy haben"

Der Bitkom-Präsident Achim Berg spricht im GA-Interview über die Arbeit der Koalition, fehlende Strategien bei Unternehmen und digitale Bildung.

Achim Berg fordert, dass Handys in den Grundschulunterricht eingebunden werden.

Achim Berg fordert, dass Handys in den Grundschulunterricht eingebunden werden.

Foto: picture alliance/dpa

Herr Berg, bald ist Halbzeit für die große Koalition. Welches Zwischenzeugnis stellen sie ihr aus?

Achim Berg: Ausgedrückt in Schulnoten wird es wohl eher ein durchwachsenes Ergebnis sein, das auch nicht durchgängig befriedigend ist. Die Regierung ist mit hohen Ansprüchen in der Digitalpolitik gestartet. Einiges wurde angestoßen, wie der Digitalpakt, die Versteigerung der 5G-Lizenzen oder die Strategie zur Künstlichen Intelligenz. Ansonsten bleibt sie hinter meinen Erwartungen zurück, teils geht es sogar in die falsche Richtung.

Inwiefern?

Berg: Selbst bei den genannten Vorhaben stockt es. Die Mittel für den Digitalpakt fließen noch nicht, kaum einer der 100 versprochenen KI-Lehrstühle wurde besetzt und der Aufbau der 5G-Netze wird durch unzählige und unsägliche Verwaltungsvorschriften erschwert. Das verantworten teilweise aber auch die Länder und Gemeinden. Auch sonst ist leider noch nicht viel passiert. Zugleich stimmt die Bundesregierung einer neuen EU-Urheberrechtsrichtlinie zu, mit der es Uploadfilter geben kann. Das sehe ich sehr kritisch.

In welcher Form sollte die neue Justizministerin Christine Lambrecht die Richtlinie in Deutschland umsetzen?

Berg: Ich wünsche mir eine flexible Auslegung der Richtlinie. Die Justizministerin sollte alle Möglichkeiten ausreizen, um ein Maximum an Meinungsfreiheit im Internet zu erhalten. So könnte Deutschland großzügige Ausnahmen bei Uploadfiltern formulieren, etwa für Start-ups. Die Ministerin hat jetzt die Chance, das gerade bei jungen Menschen zerstörte Vertrauen in die deutsche Netzpolitik zurückzugewinnen. Diese Chance sollte sie nutzen.

Die Bundesregierung verfügt über eine Digitalstaatsministerin, ein Digitalkabinett und hat diverse Beiräte ins Leben gerufen. Bremsen diese unterschiedlichen Gremien sich gegenseitig aus?

Berg: Diese Kommissionitis schreckt mich ab, damit entfernt sich die Politik von den Menschen. Mit dieser Aufstellung können wir nicht zum Treiber der Digitalisierung werden. Es gibt riesige Debatten über Migration und Klimaschutz. Dass es bei Digitalthemen um die Zukunft unserer Wirtschaft und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft geht, haben erst viel zu wenige begriffen.

Ihre Kritik schließt die Unternehmen mit ein?

Berg: Natürlich! Nur ein Drittel der deutschen Unternehmen hat eine Digitalstrategie. Zwölf Prozent investieren in Künstliche Intelligenz, sechs Prozent in Blockchain-Technologie. Das ist verheerend, zumal es in den vergangenen Jahren kaum Entwicklungen gab. Da muss ein Ruck durch die Wirtschaft gehen, den die Politik unterstützen, aber nicht auslösen kann. Die Unternehmen selbst sind gefordert.

Zeichnet es sich ab, dass die Investitionen in Digitalisierung angesichts einer eingetrübten Konjunktur sogar noch zurückgehen werden?

Berg: Es herrscht eine große Unsicherheit, wie es etwa mit dem Handelskonflikt mit den USA weitergehen wird. Das lässt den Optimismus schwinden. Wer aber an Investitionen in die künftige Basis des eigenen Geschäfts spart, wird verlieren, so oder so. Schon jetzt zeigt sich, dass die größten börsennotierten Unternehmen in allen anderen Ländern wachsen, nur nicht in Deutschland. Wir müssen aufwachen und über Digitalisierung nicht nur reden, sondern Digitalisierung machen.

Kann etwa die neue Agentur für Sprunginnovationen tatsächlich einen deutschen Bill Gates oder Steve Jobs entdecken?

Berg: Das wäre wohl übertrieben. Ich kann den Verantwortlichen nur raten, sich mit den verfügbaren Mitteln von einer Milliarde Euro auf die Förderung weniger kleiner Unternehmen zu konzentrieren. Die Gießkanne wäre hier der völlig falsche Weg, dann entwickelt das Geld keine Wirkung.

Die Standortsuche läuft. Sollte die Agentur in Berlin angesiedelt sein?

Berg: Das ist nebensächlich. Der Standort sollte so attraktiv sein, dass die Agentur schlaue Köpfe findet, die in der jeweilige Stadt leben wollen. Darauf kommt es an.

In welchen Digitalbereichen hat Deutschland Aussicht auf einen Spitzenplatz im globalen Wettbewerb?

Berg: Ich sehe großes Potenzial in der Künstlichen Intelligenz im Sinne selbst lernender Systeme. Das ist noch wenig erforscht, deutsche Unternehmen sollten und können diesen Markt für sich gewinnen. Auch die Entwicklung der nächsten Computergeneration, die mit sogenannter Quantentechnologie arbeitet und eine echte Revolution ist, bietet große Chancen für uns. Die Agentur für Sprunginnovationen kann da helfen.

Jüngst griffen Hacker sechs Dax-Konzerne an. Wie ist es um die Datensicherheit hierzulande bestellt?

Berg: Die Schäden durch Datendiebstahl und Spionage in der Industrie lagen in den vergangenen beiden Jahren bei 43 Milliarden Euro. Das ist ein hoher Wert, der aber nicht mehr sprunghaft ansteigt. Trotzdem bleibt die Gefahr groß, Opfer eines Hackerangriffs zu werden. Gerade kleine Unternehmen haben oft Schwierigkeiten damit, sich ausreichend zu schützen. Wobei mehr als die Hälfte der Probleme mit Datensicherheit durch das Fehlverhalten eigener Mitarbeiter entsteht.

Sind Sie selbst auch mal Opfer eines Hackerangriffs geworden?

Berg: Ja, ich bin als Privatperson schon gehackt worden. Aber ich weiß, wie man Daten sicher ablegt und verschlüsselt. Das ist heute enorm wichtig.

Nur haben viele Menschen keine Lust, sich damit zu beschäftigen.

Berg: Das stimmt. Die Kompetenz, sich vor Angriffen zu schützen, ist in der Breite der Gesellschaft nicht vorhanden. Wie man ein komplexes Passwort anlegt, die Zwei-Faktor-Authentifizierung nutzt und Systemupdates macht – das ist ja nicht kompliziert. Solche Sachen gehören zwingend in den Schulunterricht.

Auch wenn die eigenen Daten für Außenstehende kaum relevant erscheinen?

Berg: Unbedingt! Denn sind Rechner ungeschützt, können sie gekapert und gegen andere eingesetzt werden. Das Bewusstsein dafür muss schon Kindern vermittelt werden. Leider sieht heute der sogenannte Computerunterricht in vielen Lehrplänen noch immer so aus wie zu meiner Schulzeit. Das begreife ich nicht und halte es für grob fahrlässig. Da müssen die Kultusminister dringend nachbessern.

Viele Eltern scheuen sich, einem Erstklässler schon ein Handy zu schenken.

Berg: Ich frage mich, warum. Ab der Grundschule empfehle ich ein Handy für Kinder und würde die Einbindung der Geräte im Unterricht befürworten.

Meinen Sie das ernst?

Berg: Natürlich! Ab der ersten Klasse werden Kinder auf dem Schulhof und im Freundeskreis doch eh mit Handys in Berührung kommen. 54 Prozent der Sechs- bis Siebenjährigen nutzen heute bereits ein Smartphone, 78 Prozent einen Tablet-PC. Auch Kinder haben ein Recht auf digitale Teilhabe. Sie brauchen Anleitung im Umgang damit. Das ist enorm wichtig. Verbote bewirken nur, dass Kinder die Geräte heimlich nutzen und dann ohne Begleitung gefährdeter sind. Das ist der größte Fehler, den man als Eltern machen kann.

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