„Wir haben genug Ärzte“ Interview mit TK-Vorstandschef Jens Baas

Jens Baas, Chef der Techniker-Krankenkasse, findet, dass Ärzte auf Dauer einheitlich honoriert werden müssten. Die TK denke auch über eine Senkung des Zusatzbeitrags nach, sagt der 50-Jährige.

 Jens Baas, Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse.

Jens Baas, Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse.

Foto: Andreas Friese

Die Bundesregierung erwartet für 2018 einen Rückgang des durchschnittlichen Zusatzbeitrags auf 1,0 Prozent. Können sich auch Ihre Mitglieder auf eine Beitragssenkung freuen?

Jens Baas: Das prüfen wir gerade, unsere Selbstverwaltung entscheidet am 20. Dezember. Unser Zusatzbeitrag wird auf keinen Fall steigen, ich hoffe, dass wir ihn um 0,1 Prozentpunkte auf 0,9 Prozent senken können. Damit wären wir weiter günstiger als der Durchschnitt der Kassen.

Wovon hängt das ab, die Konjunktur brummt doch?

Baas: 0,1 Prozentpunkte weniger Zusatzbeitrag kosten uns 190 Millionen Euro. Und die Ausgaben steigen weiter. Ich bin dennoch zuversichtlich.

Wo kommt der aktuelle Geldsegen her?

Baas: Die Konjunktur läuft gut, das treibt die Beitragseinnahmen aller Kassen. Besonders stark wachsen die Beiträge, die von EU-Ausländern kommen. Junge Griechen, Spanier und Italiener, die hier ihr Glück suchen, haben sehr gute Deckungsbeiträge. Zuletzt wuchs die Zahl der Beitragszahler aus diesen Ländern um fast neun Prozent.

Wie geht es weiter mit den Zusatzbeiträgen?

Baas: Auf Dauer werden die Zusatzbeiträge aller Kassen wieder steigen, und das kräftig. Denn die Ausgaben wachsen munter weiter – und zwar stärker als die Einkünfte der Mitglieder, auf die sie Beiträge zahlen. Teilweise liegt das am medizinischen Fortschritt, teilweise am Unvermögen der Politik, die Ausgabenanstiege zu begrenzen.

Was sind Ihre größten Sorgen?

Baas: Die Pharmaausgaben machen zwar nur knapp ein Fünftel des Kassenbudgets aus, aber gerade bei neu in den Markt kommenden Arzneimitteln schießen die Preise rapide in die Höhe – innerhalb eines Jahres jüngst um 1000 Euro pro Packung. Das liegt auch an der Regelung, dass Pharmaunternehmen bei neuen Medikamenten im ersten Jahr Mondpreise nehmen können, bevor sie sich mit den Kassen auf Erstattungspreise einigen müssen. Der nächste Gesundheitsminister muss durchsetzen, dass diese Preise auch rückwirkend gelten.

Was erhoffen Sie sich mit Blick auf die Finanzen von der neuen Regierung?

Baas: Die neue Regierung muss dafür sorgen, dass staatliche Aufgaben nicht länger vom Beitragszahler finanziert werden, sondern von der gesamten Gesellschaft, also aus Steuermitteln. Das gilt insbesondere für Hartz-IV-Empfänger. Aktuell bekommen die Kassen für einen Hartz-IV-Empfänger keine 100 Euro. Das ist zu wenig. Wir benötigen mehr als das Doppelte, um ihn kostendeckend zu versichern.

Und was erhoffen Sie sich mit Blick auf die Digitalisierung?

Baas: Alle Versicherten sollten einen Rechtsanspruch auf eine elektronische Gesundheitsakte bekommen, in der alle Daten, die die Kasse hat, alle Verordnungen und Behandlungen gesammelt sind. Sich widersprechende Medikationen und Doppelbehandlungen können so leicht vermieden werden, die Bürokratie in Praxen und Kliniken kann verschlankt werden. Wir entwickeln eine solche Akte gerade und gehen 2018 damit an den Start..

Wozu brauchen Sie dann noch die Regierung?

Baas: Damit alle Kassen diese Akte anbieten. Wenn wir als Krankenkassen das nicht machen, werden internationale Konzerne solche Akten entwickeln und die Daten kommerzialisieren. Mit dem Datenschutz wäre es dann nicht mehr weit her.

Wie stellen Sie den sicher? Die elektronische Gesundheitskarte, die man beim Arzt vorlegen muss, kommt wegen ungeklärter Datenschutzfragen nicht voran.

Baas: Wir bieten größtmöglichen Datenschutz. Die Daten liegen nicht bei uns, sie liegen bei unserem Dienstleister IBM Deutschland und sind maximal verschlüsselt. Der Versicherte allein entscheidet, wer was sehen kann – und ob außer ihm überhaupt jemand Einsicht haben soll.

Im Alltag der Menschen ist vor allem die Warterei bei Ärzten ein Problem. Haben wir zu wenig Ärzte?

Baas: Nein, wir haben genug Ärzte. Sie sind nur falsch verteilt. Wir haben zu wenig Hausärzte und zu viele Fachärzte. Und die Fachärzte gehen bevorzugt dahin, wo es viele Privatpatienten gibt. Das ist aus Sicht des Arztes individuell rational, gesamtgesellschaftlich aber schlecht.

Ihr Vorschlag?

Baas: Auf Dauer müssen wir zu einer einheitlichen Honorierung der Ärzte kommen, dann werden sich die Ärzte auch regional besser verteilen. Und wenn die niedergelassenen Ärzte für Privatpatienten nicht länger mehr Geld bekommen als für Kassenpatienten, verschwinden auch die Anreize, die Patienten unterschiedlich zu behandeln. Das fängt mit der Terminvergabe an.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort