Interview mit Ifo-Chef Clemens Fuest „Es wird künftig höhere Steuern geben“

Clemens Fuest, Chef des Münchner Ifo-Instituts, sprach mit Birgit Marschall über die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise, den Anstieg der Staatsschulden und Konjunkturprogramme nach der Krise.

 Clemens Fuest, Chef des Münchner Ifo-Instituts, sprach mit Birgit Marschall über die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise.

Clemens Fuest, Chef des Münchner Ifo-Instituts, sprach mit Birgit Marschall über die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Herr Professor Fuest, die Bundesregierung erwartet einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von 6,3 Prozent in diesem Jahr. Ist das eine realistische Größenordnung – oder können es auch bis zu zehn Prozent minus werden?

Clemens Fuest Die Entwicklung der Wirtschaftsleistung hängt entscheidend davon ab, wie sich die Epidemie entwickelt und welche Maßnahmen die Politik ergreift, um die Öffnung der Wirtschaft mit Gesundheitsschutz vereinbar zu machen. Jede Prognose beruht derzeit auf Annahmen über diese Größen, die nicht vorhersehbar sind. Mit minus 6,3 Prozent in diesem Jahr zu planen, finde ich in Ordnung, aber natürlich kann es auch anders kommen.

Wie stark wird die Zahl der Arbeitslosen bis Ende 2020 steigen?

Fuest: Das hängt ebenfalls davon ab, wie die Epidemie weiter verläuft, ist also ebenfalls unvorhersehbar. Viele Szenarien führen zu einer Arbeitslosenzahl über drei Millionen. Es kann aber auch mehr werden.

Manche Ökonomen gehen davon aus, dass wir bis Ende 2021 wieder dort stehen, wo wir vor der Corona-Krise begonnen haben. Besteht diese Chance jetzt noch?

Fuest: Das ist eher optimistisch. Der IWF beispielsweise erwartet, dass die Wirtschaftsleistung 2021 trotz kräftiger Erholung mehr als zwei Prozent unter der des Jahres 2019 liegen wird. Im letzten Quartal 2021 kann dabei durchaus das Niveau des letzten Quartals 2019 erreicht werden. Aber auch das ist nur ein Szenario.

Was sind die Voraussetzungen für eine vollständige Konjunkturerholung bis Ende 2021?

Fuest: Der Exit-Prozess muss dafür eher zügig und ohne Rückschritte verlaufen, und wir brauchen bald eine Impfung oder ein wirksames Medikament für die Behandlung. Nicht nur bei uns, auch im Rest der EU und in den USA müsste die Epidemie überwunden sein.

Hat die Politik den Gesundheitsschutz gegenüber dem wirtschaftlichen Wohlergehen überpriorisiert?

Fuest: Es ist keineswegs so, dass ein möglichst langer Shutdown gut für den Gesundheitsschutz ist, denn der Shutdown selbst bringt verschiedene Gesundheitsrisiken mit sich, beispielsweise verstärkte psychische Krankheiten. Für die richtige Abwägung der verschiedenen Risiken gibt es keine objektiven Maßstäbe, außerdem ist hier unter sehr hoher Unsicherheit zu entscheiden. Ich denke nicht, dass man behaupten kann, die Politik hätte irgendetwas überpriorisiert.

Wie muss der Mix aus Maßnahmen aussehen, um die Konjunktur wieder in Schwung zu bringen?

Fuest: Für die Übergangsphase, in der wir noch stärkere Einschränkungen haben und viele Unternehmen stillgelegt sind, brauchen wir weiter Unterstützung für Beschäftigte und für die Unternehmen. Außerdem sollten wir gezielte öffentliche Investitionen umsetzen, zum Beispiel bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Breitere Steuerentlastungen und Investitionsanreize sind etwas für die Zeit nach dem Ende der Einschränkungen.

Wie stark wird die Staatsverschuldung ansteigen – um 500 Milliarden oder eher um 1000 Milliarden Euro?

Fuest: Das weiß derzeit niemand. Prognosen gehen derzeit von einem Anstieg der Staatsschulden in Deutschland um sechs bis sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, das wären etwa 230 Milliarden Euro. Höhere Beträge, die genannt werden, beinhalten staatliche Kreditgarantien, das ist etwas anderes als Staatsverschuldung.

Wer bezahlt die staatlichen Maßnahmen zur Abfederung der Krise?

Fuest: Alle Bürger. Es wird künftig entweder höhere Steuern oder geringere staatliche Leistungen geben. Vermutlich beides. Aber ein Verzicht auf Maßnahmen zur Krisenbekämpfung wäre für die Bürger letztlich noch teurer, weil die Krise tiefer ausfallen würde.

Wie bewerten Sie Lockerungen, die sich auf einzelne Branchen beziehen? Das heißt: Einige Branchen dürfen arbeiten, andere aber nicht?

Fuest: Das ist sinnvoll, weil die Ansteckungsrisiken unterschiedlich sind.

Welche nächsten Lockerungsschritte empfehlen Sie den Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin?

Fuest: Ich würde es für klug halten, die Tests auf Infektion möglichst schnell flächendeckend auszudehnen. Das erleichtert das Öffnen wirtschaftlicher Aktivitäten erheblich und schützt die Gesundheit.

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