Verbraucherschützer im Interview "Bevölkerung nicht mit Verboten vergraulen"

Düsseldorf · Klaus Müller ist Vorstand beim Verbraucherzentrale Bundesverband. Er tritt dafür ein, dass Klimaschutz in der Industrie, im Handel und im Verbraucheralltag stärker gelebt wird, warnt allerdings vor voreiligen Verboten. Ein Interview.

 Klaus Müller, Chef der Bundesverbraucherzentrale.

Klaus Müller, Chef der Bundesverbraucherzentrale.

Foto: picture alliance / dpa

Die Verbraucher sollen weniger Fleisch essen, weniger fliegen, möglichst nicht Autofahren – kommt jetzt die Zeit des großen Verzichts?

Klaus Müller: Wenn man die Klimaschutzwende gegen die Wand fahren möchte, wäre das genau die Botschaft. Jede Regierung, die versuchen würde, alles komplett und sofort zu verbieten, würde keine vier Jahre halten. Es muss uns viel mehr darum gehen, den vorhandenen Schwung zu nutzen und alle Menschen mitzunehmen. Niemand darf zurückgelassen oder überrollt werden.

Aber der Handlungsdruck ist enorm, nicht nur Hunderttausende Jugendliche fordern rasche Veränderungen.

Müller: Klimaschutz ist nicht im Schongang zu erreichen, stimmt. Aber wenn ich 80 Prozent der Bevölkerung mit Verzichtsgeboten und Verboten vor den Kopf stoße und vergraule, passiert gar nichts. Bevor ich alles verbiete, muss ich alternative Angebote haben – etwa emissionsärmere Mobilitätsangebote durch massiven Ausbau des Nahverkehrs, des Fahrradverkehrs oder mehr Ladesäulen für E-Autos.

Die Debatte dreht sich aber nicht nur um Verkehrskonzepte.

Müller: Völlig klar. Wir brauchen viele weitere Maßnahmen. Zum Beispiel muss es im Kampf gegen den hohen Plastikverbrauch vorangehen. Öffentlichkeitswirksame Aktionen wie hüllenlose Gurken oder ein symbolischer Preis für dünne Plastiktüten reichen nicht aus. Der Handel muss endlich Ernst machen und deutlich mehr unverpacktes Obst und Gemüse anbieten. Verbraucher müssen unverpackt einkaufen können, ohne mehr bezahlen oder längere Wege zurücklegen zu müssen. Außerdem brauchen wir dringend die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung, damit wir die Hauseigentümer motivieren, selber stärker zu investieren.

Der Klimaschutz ließe sich durch eine bessere Internetversorgung im ländlichen Raum unterstützen, weil dann mehr Menschen von zu Hause arbeiten könnten. Sind Sie dafür, Mobilfunkanbieter zu einem nationalen Roaming zu zwingen?

Müller: Ein nationales Roaming wäre sinnvoll, verhältnismäßig und volkswirtschaftlich zwingend. Es bedeutet, dass sich mein Telefon oder Computer automatisch mit dem besten verfügbaren Netz, auch anderer Anbieter, verbindet. Damit würde es in Deutschland eine wesentlich schnellere und kostengünstigere Netzabdeckung auf hohem Niveau geben. Die weißen Flecken auf der Landkarte würden viel schneller verschwinden. Lokales Roaming, wie von Union und SPD in der jüngsten Fraktionsklausur vorgeschlagen, wäre ein wichtiger Anfang, reicht aber nicht aus. Um die Versorgungslücken im Mobilfunk zu schließen, ist nationales Roaming, also die Möglichkeit des flexiblen Netzwechsels im gesamten Bundesgebiet effektiver.

Wie lässt sich das nach der Frequenzversteigerung jetzt noch durchsetzen?

Müller: Unsere Juristen sagen uns, dass nationales Roaming auch unabhängig von der abgeschlossenen 5G-Auktion noch möglich ist. Die Bundesregierung muss das jetzt in Angriff nehmen und gegenüber den Mobilfunkunternehmen Stärke zeigen.

Sie haben die Musterfeststellungsklage gegen Volkswagen als Meilenstein bezeichnet. Aber wirklich voran geht es ja noch nicht.

Müller: Aber ja doch! Wir freuen uns auf den ersten Verhandlungstag Ende September. Ein Gerichtsverfahren dauert eben. Das haben wir nicht in der Hand. Die riesige Teilnahme hat uns selbst überrascht. Für das Register, so hören wir vom Bundesamt für Justiz, gibt es derzeit mehr als 420 000 Anmeldungen. Das Bundesamt ist immer noch dabei, das Register auf den aktuellen Stand zu bringen. Für die erste Verhandlung hat das Gericht bereits einen Saal in der Stadthalle Braunschweig gemietet. Niemand hat damit gerechnet, dass sich so viele Menschen eintragen. Ich freue mich sehr darüber.

Wie lange wird das Verfahren dauern?

Müller: Wenn es aus unserer Sicht schlecht läuft, müssen wir mit vier bis fünf Jahren rechnen, bis der Bundesgerichtshof sein endgültiges Urteil spricht. Wenn Volkswagen aber so klug wäre, auch mit uns in Vergleichsverhandlungen einzutreten, könnte die Sache schnell erledigt sein. Es steht VW jederzeit frei, die geschädigten Kunden über ein gutes Vergleichsangebot anständig zu entschädigen und dem Spuk endlich ein Ende zu setzten. In vielen anderen Fällen haben sie das bereits getan. Die Autofahrer gingen bei bisherigen Vergleichen mit Volkswagen stets mit einem breiten Grinsen aus dem Gerichtssaal.

Wie hoch wäre die Schadenersatzsumme pro Kopf?

Müller: Wir wissen nicht genau, wie viel VW in den Vergleichen gezahlt hat, weil jedes Mal Verschwiegenheitsklauseln unterschrieben wurden. Wir haben aber in dieser Woche das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz gesehen, bei dem eine Klage gegen Volkswagen positiv ausging und der Kläger 26 000 Euro mit nach Hause nahm. Hier hat das Gericht den Kaufpreis abzüglich einer Summe für die Nutzung zugrunde gelegt. Es gab aber auch Urteile, da bekam der Kläger den vollen Kaufpreis oder sogar ein neuwertiges Fahrzeug zugesprochen.

Über den Daumen gepeilt landen wir dann schnell bei einer fast zweistelligen Milliardensumme, die auf Volkswagen zukäme.

Müller: Das Unternehmen hat im vergangenen Jahr einen Reingewinn von mehr als elf Milliarden Euro eingefahren. Ich wünsche Volkswagen eine erfolgreiche Zukunft. Aber dafür muss der Konzern erst für seine Sünden der Vergangenheit bezahlen. Das darf nicht bei den Verbrauchern hängen bleiben.

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