In Lörrach bleiben die gelben Säcke liegen Betrugsvorwürfe gegen Bonner Recyclingunternehmen ELS

Bonn · Nach der Pleite des dualen Systems ELS aus Bonn äußern Wettbewerber Zweifel an den genannten Gründen für die Insolvenz. Die gesamte Branche scheint zerstritten und wirft sich gegenseitig Betrug vor.

 Um die Entsorgung der gelben Säcke kümmern sich in Deutschland zehn duale Systeme. Der Wettbewerb ist groß, die Kosten für die Entsorgung teuer.

Um die Entsorgung der gelben Säcke kümmern sich in Deutschland zehn duale Systeme. Der Wettbewerb ist groß, die Kosten für die Entsorgung teuer.

Foto: picture alliance / dpa

Im südlichsten Zipfel von Deutschland, nur wenige Kilometer von der Grenze zur Schweiz entfernt, bleiben seit einigen Tagen die gelben Säcke liegen. Der zuständige Entsorger hat die Abholung in der 50.000-Einwohner-Stadt Lörrach in Baden-Württemberg vorerst eingestellt. Die Gründe dafür liegen in Bonn.

Denn hier hat der Auftraggeber des Entsorgers seinen Sitz – und der ist pleite. Die Europäische Lizenzierungssysteme GmbH (ELS) hatte Ende März einen Insolvenzantrag gestellt. Auf Anfrage des General-Anzeigers erklärt ELS: Es habe einen Zahlungsstopp an die Firma Kühl gegeben, die in Lörrach die gelben Säcke abholt. Ohne Geld keine Entsorgung. „Wir haben Kühl daraufhin allerdings in dieser Woche Vorkasse angeboten“, erklärt ELS-Pressesprecherin Angela Emons. Kühl sei allerdings nicht darauf eingegangen.

Die Bonner müssen sich keine Sorgen um ihren Verpackungsmüll machen. Denn in der Bundesstadt ist ELS nicht zuständig. Der Entsorger hier arbeitet im Auftrag des Markführers: Duales System Deutschland GmbH, besser bekannt als "Grüner Punkt". ELS ist nämlich nur eins von insgesamt zehn dualen Systemen in Deutschland, die für die Entsorgung von Verpackungsmüll, Papier und Glas zuständig sind. Wer wo zuständig ist, entscheiden Marktanteil und Losverfahren.

ELS ist einer der kleineren Anbieter mit einem Marktanteil von sechs Prozent, der Marktführer Grüner Punkt mit Sitz in Köln hat mehr als 30 Prozent. Als einen Grund für die Pleite beziehungsweise „wesentliche Krisenursache“, wie es in der Pressemitteilung hieß, hatte ELS so genannte Trittbrettfahrer genannt. Das heißt Unternehmen, die zwar Verpackungen produzieren, sich aber um die Gebühren für deren Entsorgung drücken wollen. Wettbewerber von ELS bezweifeln jedoch, dass das der Hauptgrund für die Insolvenz ist. Ähnlich äußert sich das NRW-Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: „Wenn einzelne Systeme pleite gehen, sind Trittbrettfahrer sicher nicht der Grund“, erklärt Gabriele Schmidt aus der Abteilung Abfall- und Kreislaufwirtschaft. Dann müssten auch andere betroffen sein. Schmidt bestätigt aber, dass es das Problem grundsätzlich gibt. Das Ausmaß einzuschätzen, sei schwer.

Der ELS-Wettbewerber Recycling Kontor Gruppe (RKD) aus Köln nennt dagegen konkrete Zahlen: Laut Untersuchungen gehe das Unternehmen von „einem Anteil 'nicht lizenzierter' Verpackungen von etwa 15-20 Prozent“ aus. Bei RKD selbst führe das aber nicht zu finanziellen Problemen.

Grundsätzlich funktioniert das System so: Alle Unternehmen, die Verpackungen produzieren, sowohl Handelsunternehmen als auch Hersteller von Produkten, müssen ihre Mengen bei einem der zehn dualen Systeme anmelden und eine Gebühr bezahlen. Dafür kümmert sich ein duales System dann um die Entsorgung, beziehungsweise beauftragt diese. Es gab aber schon Unternehmen, die entweder zu geringe Mengen oder überhaupt keine angemeldet haben. Ihre Verpackungen, die die Verbraucher letztlich im gelben Sack entsorgen, werden aber dennoch abgeholt. Dadurch wird mehr Müll entsorgt, als gezahlt wird. Es entsteht eine Finanzierungslücke. Doch dieses Problem als Hauptgrund für eine Insolvenz anzuführen, bezeichnet ein Wettbewerber als „Frechheit“.

In einem Bericht des Europäischen Wirtschaftsdienstes wird ELS vorgeworfen, zu günstige Preise angeboten zu haben. Ein Konkurrent der Bonner bestätigt diese Vermutung gegenüber dem General-Anzeiger: „ELS lag mit seinem Angebot 10 bis 20 Prozent unter den marktüblichen Preisen.“ Das habe er von Kunden erfahren, die bei ELS ein Angebot eingeholt hätten. Seinen Namen möchte der Wettbewerber nicht preisgeben, ebenso wenig wie zwei weitere. Einer möchte überhaupt keine Fragen zu dem Thema beantworten. Bei denen, die reden, wird schnell klar: Es gibt noch ein ganz anderes Problem in der Branche, die von gegenseitigem Misstrauen und Zerwürfnissen geprägt ist. Es gibt juristische Auseinandersetzungen und Beschuldigungen. Von Betrug ist die Rede.

Einige Systeme sollen unseriös arbeiten, heißt es immer wieder von unterschiedlichen Seiten. Auch das Ministerium hält die Vermutung für begründet. Anscheinend gibt es ein paar Systeme, die die Verpackungen umdefinieren – die also einen Teil der zu entsorgenden Menge in eine andere Kategorie einordnen. Anstatt Leichtverpackungen – also das, was im gelben Sack landet – anzumelden, melden sie zum Beispiel Transportverpackungen, weil das günstiger ist. So rechnen sie ihren Marktanteil in Bezug auf Leichtverpackungen klein und zahlen am Ende weniger. Denn aufgrund der aufwendigen Logistik ist die Entsorgung von Leichtverpackungen besonders teuer. Bezahlt wird sie anteilig von den zehn dualen Systemen – je nach Marktanteil. Den errechnet eine gemeinsame Clearingstelle, an die die dualen Systeme die Verpackungsmengen ihrer Kunden melden müssen.

Auch ELS war bereits mit diesem Vorwurf des Betrugs konfrontiert. Nur so könne das Unternehmen seinen Kunden die günstigen Preise anbieten, so der Vorwurf. Der Konkurrent Bellandvision, aus der Nähe von Bayreuth – drittgrößter Betreiber mit einem Marktanteil von 15,5 Prozent –, hatte ELS vor dem Kölner Landgericht deshalb verklagt. Im November dann das Urteil: ELS erhielt eine Auflage, künftig Verpackungsmengen ordentlich zuzuordnen. ELS-Sprecherin Emons erklärt, an den Vorwürfen sei nichts dran. „Aktueller Sachstand ist, dass wir in erster Instanz verloren und gegen dieses Urteil Berufung eingelegt haben.“ Auch Schmidt vom Ministerium für Umwelt und Naturschutz relativiert den Vorwurf: „Ja, die Klage stammt von einem Wettbewerber.“ Vorwürfe gibt es offensichtlich untereinander immer wieder.

Das Paradoxe an der Branche: Obwohl ein harter Konkurrenzkampf herrscht und viele Unternehmen zerstritten zu sein scheinen, müssen sie doch alle an einem Strang ziehen: Denn alle zusammen bilden ein „genehmigtes Kartell“, wie es heißt. Es gibt also auch Absprachen. Jeder hat zwar eigene Kunden. Die Entsorgung erfolgt allerdings gemeinsam. Die Gebühren dafür werden am Ende nach Marktanteil aufgeteilt. Die Gebühren dafür werden am Ende nach Marktanteil aufgeteilt. Dabei kommt es immer wieder zu Streitigkeiten: „Gleichwohl haben sich die Dualen Systeme immer wieder über die Kostenverteilung – auch gerichtlich – gestritten und versuchen teilweise über die Fachöffentlichkeit Wettbewerber zu diskreditieren“, teilt der Wettbewerber RKD auf Anfrage mit.

Fest steht: Es wird mehr Müll entsorgt, als offiziell vorhanden ist. Ob Trittbrettfahrer das Problem sind oder die Systeme selbst schummeln, bleibt am Ende offen. Entsorgt werden jährlich etwa 2,5 Millionen Tonnen Leichtverpackungen, angemeldet für 2018 sind allerdings nur 1,8 Millionen Tonnen.

2014 ist das System deshalb fast kollabiert. Der Handel schoss eine Millionensumme nach, um die Entsorgung zu sichern. Dass es noch einmal zu einer solchen Situation kommen könnte, vermutet allerdings keiner. Somit bleibt Lörrach am Ende wohl eher eine Ausnahme.

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