Wirtschaft in Grenzregion Gibraltar und Spanien blicken mit Sorge auf Brexit

Gibraltar · Gibraltar und seine Grenze zum EU-Land Spanien haben bisher wenig Beachtung in der öffentlichen Brexit-Debatte gefunden. Dabei könnte ein No-Deal-Austritt gerade dort großen Schaden anrichten. Die Wirtschaft Andalusiens ist stark abhängig von dem britischen Übersee-Territorium.

 Bei Gästen beliebt: In Gibraltar können Touristen Zigaretten und Tabak günstig erwerben, weil die Besteuerung niedriger als im benachbarten Spanien ist.

Bei Gästen beliebt: In Gibraltar können Touristen Zigaretten und Tabak günstig erwerben, weil die Besteuerung niedriger als im benachbarten Spanien ist.

Foto: Nadine Klees

Ana kommt jeden Tag nach Gibraltar, um hier zu arbeiten. Dass die junge Spanierin hier wesentlich besser verdient, ist ein wesentlicher Grund. Aber es liegt auch an den Menschen. Sie seien gebildeter als im spanischen Umland, wo sie selbst herkommt, findet Ana, die ihren richtigen Namen nicht verraten möchte. Hier fühlt sie sich als Kellnerin respektvoll behandelt. „In Spanien behandeln mich die Gäste, als sei ich ihr persönliches Dienstmädchen“, sagt die junge Frau mit Tattoo hinterm Ohr. Und sie ist nicht die einzige, die auf britischem Boden arbeitet, aber in der angrenzenden Region Andalusien lebt. Rund 14 000 Menschen kommen Tag für Tag über die Grenze nach Gibraltar, wo nur etwas mehr als 34 000 Menschen leben.

Die fast sieben Quadratkilometer Land tragen damit einen wesentlichen Teil zur Wirtschaft Andalusiens bei. Gibraltar ist einer der größten Arbeitgeber der spanischen Region. Ein Brexit ohne Deal könnte deshalb große Auswirkungen haben.

Spanische Grenzregion mit hoher Arbeitslosigkeit

Wie es ab dem 29. März für Ana weitergeht, ist nicht klar „So lange ich weiter hier arbeiten kann, ist mir das alles egal.“ Denn im spanischen Umland gibt es kaum Jobs. Während rund um die Grenzstadt La Línea de la Concepción die Arbeitslosigkeit mehr als 30 Prozent beträgt, herrscht in Gibraltar quasi Vollbeschäftigung. Dass die spanische Grenzregion eher arm ist, zeigt schon das Stadtbild. An den bunt gestrichenen Hochhäusern bröckelt die Farbe – trostlose Vorstadtatmosphäre. Auf den Parkplätzen vor der Grenze, wo die Touristen ihre Autos abstellen, treiben Trickdiebe ihr Unwesen. Kriminelle in gelben Warnwesten halten die Autos an und verlangen 20 Euro fürs Parken, obwohl sie mit dem Parkplatz nichts zu tun haben. Manchmal kassieren sie auch 50 oder 100 Euro, wenn es die Urlauber nicht passend haben. Dann sagen sie, sie müssten wechseln und verschwinden mit den Scheinen zwischen den Hochhäusern.

Ohne Gibraltar würde sich die Situation im Umland noch verschlimmern, befürchten viele. Die Spanier sorgen sich um ihre Zukunft, erklärt Lionel Chipolina, Präsident der Organisation Cross-frontier Group. Die Gruppe vertritt die Interessen von Unternehmen und Arbeitnehmern auf spanischer und gibraltarischer Seite. „Ich weiß nicht, was ich den Leuten sagen soll, die mich fragen und Angst haben.“ Der pensionierte Lehrer Ende 50 ist in dem Überseeterritorium aufgewachsen. Die Cross-Frontier Group gründete er 2013, als die Schlangen am Grenzübergang immer länger wurden. Bereits jetzt stehen Autos schon mal mehrere Stunden. Auch das könnte sich verschlimmern, gibt Chipolina zu bedenken. Und das treffe dann nicht nur die Spanier. Schließlich erhielten die Gibraltaer auch die meisten Importe über den Landweg. Die Spanier wiederum fürchteten zusätzlich, dass sich ihre Geschäfte verschlechterten mit einer geschlossene Grenze: Sie profitieren davon, dass die Einwohner Gibraltars hier spanische Produkte kaufen, die es drüben nicht gibt.

Gibraltar sorgt sich um Tourismus

In den Augen der Regierung Gibraltars könnte der Tourismus großen Schaden nehmen. Rund zehn Millionen Urlauber kommen jährlich. Werde der Grenzübergang erschwert, gebe es sicher Verluste. Auf Schätzungen, wie hoch der Schaden für Gibraltar ohne Deal sein könnte, will sich Regierungssprecher Miguel Vermehren allerdings nicht festlegen. Rund 30 Prozent der Wirtschaft in Gibraltar hängen vom Tourismus ab. Den größten Teil allerdings macht die Finanz- und Glücksspielbranche aus. Für die Unternehmen sieht Vermehren keine Probleme. „Die Dienstleistungen gehen zu mehr als 90 Prozent in das Vereinigte Königreich“, erklärt er. Eine Abwanderung von Firmen wie in Großbritannien gebe es nicht. Es habe nur wenige Bewegungen gegeben. „Nicht mal 100 Jobs sind dabei verloren gegangen.“

Auch der umstrittene Glücksspielanbieter Lottoland hält an Gibraltar als Hauptstandort fest, wie das Unternehmen auf Anfrage mitteilt: Große Auswirkungen nach dem 29. März fürchte man nicht, heißt es. Selbst wenn es vorübergehend zu Problemen an der Grenze käme, könnten die Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten.

Der Finanzdienstleister, für den William arbeitet, hat vorsichtshalber schon mal eine Niederlassung in Malta eröffnet. Der Informatiker mit britischem Pass erklärt, sein Arbeitgeber sei international tätig, aber man wisse nicht, was in ein paar Wochen passiert. Derzeit sind Spanien und Großbritannien im Gespräch, um Vorbereitungen zu treffen. Vermehren ist zuversichtlich, Spanien sei kompromissbereit. Es gebe Regelungen auch im Falle eines ungeregelten Austritts aus der EU. Chipolina sagt dagegen, die EU habe immer noch ein Wörtchen mitzureden. Er hat schon einmal erlebt, wie es ist, mit einer geschlossenen Grenze zu leben. Er war ein kleiner Junge, als der spanische Diktator Franco die Schotten dicht machte.

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