Amazon will mit DHL Lebensmittel ausliefern Frisches vom Onlineriesen

Bonn · Der Service von Amazon soll auf dem deutschen Markt im April beginnen. Handelsexperte Thomas Roeb von der Hochschule Bonn/Rhein-Sieg sieht keine großen Verwerfungen.

Deutschland gilt als besonders schwieriger Markt für Lebensmittel. Nirgendwo achten die Kunden mehr auf den Preis und sind die Gewinnmargen der Händler kleiner. Das schreckt den Internetriesen Amazon aber nicht. Seine Pläne, den deutschen Lebensmittelmarkt aufzumischen, werden konkreter.

Laut einem Bericht des „Handelsblatts“ will sich der Onlinehändler exklusiv mit der Deutsche Post DHL verbünden, um ab April zunächst in Berlin frische Lebensmittel auszuliefern. Das Projekt soll zügig auf das gesamte Bundesgebiet ausgeweitet werden. Bestätigungen dafür gab es am Mittwoch weder vom Amazon noch von DHL. Amazon ist für seine zurückhaltende Informationspolitik bekannt. Unter dem Namen „Amazon Fresh“ bietet der Konzern bereits in Großstädten der USA und Großbritanniens die Lieferung frischer Lebensmittel an.

Tatsächlich geht es um ein Riesengeschäft. Rund 176 Milliarden Euro haben die Deutschen laut Fachportal Statista 2016 für den Einkauf von Lebensmitteln ausgegeben. Doch während sich die Onlinehändler im Buchhandel, bei Textilien oder in der Elektronik längst etabliert haben, spielen Onlinebestellungen im Lebensmittelhandel eine geringe Rolle.

Weniger als ein Prozent des Branchenumsatzes entfällt auf das Internet. Dabei haben viele Lebensmittelhändler ein Online–Sortiment. Dazu zählen die Portale der großen Supermarktketten wie Rewe, Real, oder Kaufland. Es finden sich im Netz nicht alle Produkte, die man in den Filialen kaufen kann. Die Deutsche Post hat mit Allyouneed einen eigenen Online-Supermarkt.

"Amazon muss sich neu erfinden"

Handelsexperte Thomas Roeb von der Hochschule Bonn/Rhein-Sieg sieht durch den Eintritt Amazons auf den deutschen Markt mit frischen Lebensmittels keine großen Verwerfungen zukommen: „Es wird sich auf absehbare Zeit wenig ändern.“ Es gebe ja bereits etliche Onlinehändler, die Lebensmittel in Deutschland anbieten – aber niemand verdiene damit Geld. „Die Aufgabe, vor der Amazon steht, ist schwieriger als fast alles, was das Unternehmen schon geleistet hat“, meint Roeb. Amazon müsse sich in weiten Teilen neu erfinden. Es gehe um neue Lieferanten, neue Logistikstrukturen, neue Kundengruppen.

Außerdem fehlten Amazon die Synergien zu einem bestehenden Geschäftsmodell ähnlich den großen Wettbewerbern wie Rewe oder Edeka: „Die Anlaufverluste werden sicher erheblich sein.“ Umgekehrt ließen die bisherigen Erfahrungen im Markt keinen großen ungedeckten Bedarf erkennen. Der Nutzen der Bequemlichkeit des Onlineeinkaufs sei begrenzt. Ältere Kunden würden oft einkaufen gehen, weil sie dabei Bekannte treffen. Jüngeren, speziell Familien, sei der Kauf online zu teuer aufgrund der Lieferkosten und des Fehlens vieler besonders billiger Produkte.

Die etablierten Ketten nehmen die Konkurrenz ernst: „Wir müssen uns warm anziehen gegen Amazon Fresh“, sagte Rewe-Chef Alain Caparros kürzlich. Einer Analyse der Strategieberatung Oliver Wyman zufolge könnten Onlineangebote im deutschen Lebensmitteleinzelhandel mittelfristig zu Umsatzverschiebungen von sechs bis acht Milliarden Euro führen. Amazon könnte daran einen hohen Anteil haben.

Etwa 15 Prozent der Filialen der deutschen Vollsortimenter könnten Verluste machen, und bis zu 40 000 Arbeitsplätze könnten sich in den Onlinebereich verschieben. Michael Lierow, Handelsexperte der Strategieberatung, sieht die etablierten Lebensmittelhändler am Zug: „Das breite Filialnetz und die hohe Kundenfrequenz sind enorme Vorteile, von denen der Einzelhandel heute noch profitiert.“ Doch es braucht auch ein überzeugendes digitales Angebot, um auf Dauer zu bestehen.

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