US-Sanktionen Donald Trump erhöht Druck auf die Türkei

Istanbul · US-Präsident Donald Trump erhöht mit Strafzöllen den Druck auf die Türkei. Die Wirtschaftsprobleme im Land verschärfen sich, der Wert der Währung sinkt weiter. Obwohl sich die Lage zuspitzt, gibt es keine Proteste aus der Bevölkerung.

 Der Große Basar in Istanbul: Wegen des Verfalls der türkischen Währung kann sich die Bevölkerung immer weniger leisten. Der staatliche Mindestlohn beträgt netto umgerechnet nur noch 260 Euro monatlich.

Der Große Basar in Istanbul: Wegen des Verfalls der türkischen Währung kann sich die Bevölkerung immer weniger leisten. Der staatliche Mindestlohn beträgt netto umgerechnet nur noch 260 Euro monatlich.

Foto: picture alliance / Mirjam Schmit

Ein Netzkabel für einen Computer? Der Elektrohändler blickt auf seine halbleeren Regale und hebt bedauernd die Hände. „Die habe ich nicht mehr nachbestellt, denn die kommen aus dem Ausland“, sagt er. „Ich habe sie bisher für 20 Lira verkauft, doch dafür bekomme ich sie jetzt selbst nicht mehr.“ Und nun? Der Händler zögert kurz, dann zieht er das Netzkabel aus seiner Registrierkasse und reicht es über den Tresen. Die Kasse, so impliziert er mit seiner Geste, werde er wohl nicht mehr lange brauchen. Mit stummem Entsetzen sehen die Türken in diesen Tagen zu, wie ihr Geld, ihr Einkommen und ihr Erspartes vor ihren Augen wegschmilzt.

Die Szene, die sich vor wenigen Tagen in einem kleinen Elektroladen in Istanbul zutrug, erinnert an den Beginn der letzten großen Umwälzung in der Türkei. Ein Blumenhändler warf im April 2001 dem damaligen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit seine Registrierkasse vor die Füße, weil er ihn für den Kollaps der türkischen Wirtschaft und seinen Ruin verantwortlich machte. Die Geste war das Startsignal für Massenproteste, die eineinhalb Jahre später zur Revolution an der Wahlurne führten, mit der die AKP von Recep Tayyip Erdogan die alte Garde der Türkischen Republik ablöste.

Diesmal trifft es die Türken mindestens ebenso schlimm. Die Lira hat seit Jahresbeginn ein Drittel ihres Wertes gegenüber dem US-Dollar verloren. Am Freitag verlor die türkische Währung erneut 19 Prozent, kurz nachdem US-Präsident Donald Trump eine Verdopplung der Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei verkündete. Der Zoll auf Aluminiumimporte werde auf 20 Prozent erhöht, der auf Stahlimporte auf 50 Prozent, teilte Trump am Freitag in einem Tweet mit. Trump erklärte, dass die bilateralen Beziehungen „zu diesem Zeitpunkt nicht gut“ seien. Nach Trumps Tweet erreichte die Lira 6,62 zum Dollar.

Experten rechnen mit einer Welle von Konkursen

Die USA fordern die Freilassung des in der Türkei festgehaltenen US-Pastors Andrew Brunson und weiterer amerikanischer Staatsbürger. Die USA hatten deswegen vergangene Woche Sanktionen gegen den türkischen Innenminister Süleyman Soylu und gegen Justizminister Abdülhamit Gül verhängt. Damit werden mögliche Vermögen der Minister in den USA eingefroren, außerdem dürfen US-Bürger keine Geschäfte mit ihnen machen.

Alles in allem eine katastrophale Entwicklung nicht nur für den Istanbuler Elektrohändler, der sich keine Import-Kabel mehr leisten kann. Die rohstoffarme Türkei bestreitet fast ihre gesamte Energieversorgung mit Hilfe von Einfuhren von Öl und Gas – die in Dollar gehandelt werden. Allein die Schulden türkischer Unternehmern in ausländischen Währungen werden auf insgesamt mehr als 200 Milliarden Dollar geschätzt. Manche Experten rechnen mit einer Welle von Konkursen, wenn die Firmen ihre Kredite nicht mehr bedienen können, weil ihre Lira-Einnahmen immer wertloser werden. Auch die Banken sind gefährdet.

Und doch gibt es diesmal keine Massenproteste. Das liegt zum einen an den Medien, die überwiegend auf Regierungslinie sind und zum Beispiel den Wertverlust der Lira nicht berichten. Zum anderen glauben viele Türken der Regierung, wenn sie sagt, die Wirtschaftskrise sei Folge eines Komplotts feindlicher ausländischer Mächte. Erdogan sprach von einem „Wirtschaftskrieg“, den die Türkei durchstehen müsse.

Das heißt nicht, dass die Türken nicht unter den Wirtschaftsproblemen stöhnen. In den Familien und unter Freunden sind die Sorgen um Geld das wichtigste Thema. Wie könnte es auch anders sein: Der Lira-Absturz und eine Inflationsrate von fast 16 Prozent machen den Alltag plötzlich viel teurer. Der staatliche Mindestlohn von 1600 Lira netto im Monat, mit dem viele Türken auskommen müssen, war schon Anfang des Jahres mit einem Gegenwert von 352 Euro nicht üppig. Heute sind es nur noch 260 Euro. In den vergangenen Wochen erlebten die Türken eine wahre Welle. Der Kursverfall der Lira habe allein die Unternehmensverschuldung seit Februar um mehr als 340 Milliarden Lira anschwellen lassen.

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