Interview mit Christian Gramsch, Direktor der Deutschen Welle Akademie "Wir brauchen ein Recht auf digitale Teilhabe"

Medien entwickeln, Menschenrechte stärken ist das Motto der Akadamie der Deutschen Welle (DW). Vor 50 Jahren hat sie ihre Arbeit aufgenommen, zunächst als DW Ausbildungszentrum.

 Palästinensische Gebiete: Teilnehmerinnen des Projekts "Speak up!" der DW Akademie für Medienkompetenz an Schulen.

Palästinensische Gebiete: Teilnehmerinnen des Projekts "Speak up!" der DW Akademie für Medienkompetenz an Schulen.

Foto: DW

Mit dem Direktor der DW Akademie, Christian Gramsch, sprach Lutz Warkalla.

Herr Gramsch, vor 50 Jahren startete die DW Akademie mit einem Training für Radiotechniker aus Ruanda. Was war der Anlass?Christian Gramsch: Dass wir Ausbildung machen, ist im Deutsche Welle Gesetz verankert. Wir sollen nicht nur Informationen und Bildung von Deutschland aus in die Welt transportieren, sondern auch Journalismus und Medienentwicklung vor Ort voranbringen.

Und was hat sich seitdem verändert?
Gramsch: Alles hat sich geändert. Damals ging es darum, als Durchführungsorganisation des Entwicklungsministeriums Knowhow zu transportieren, also Journalisten und Techniker in mehrwöchigen Trainings fit zu machen für den Umgang mit dem Medium Radio. Inzwischen hat sich nicht nur die Idee von Medien geändert, sondern wir haben heute im Rahmen von Entwicklungszusammenarbeit den viel größeren und nachhaltigeren Auftrag, ganze Mediensysteme im Sinne der Menschenrechtsorientierung zu unterstützen. Dazu gehören die rechtlichen Rahmenbedingungen ebenso wie die Qualifikation der Mitarbeiter und die Medienkompetenz der Nutzer sowie die Stärkung benachteiligter Gruppen, die keinen Zugang zum Mediensystem haben.

Welche Rolle spielen die sozialen Medien?
Gramsch: Das ist vielleicht der wichtigste Bereich. Eigentlich brauchen wir ein Menschenrecht auf Teilhabe an digitaler Kommunikation. Es gibt eine enorme Kluft zwischen denen, die überall auf alles Zugriff haben, und denen, denen das alles vorenthalten wird. Diese Kluft muss dringend geschlossen werden. Sich allein auf die traditionellen Medien zu fokussieren, wäre zu eng - gerade in autoritären Systemen, wo Medien ja ein Element von Staatswillkür sind. Dort tragen wir natürlich nicht dazu bei, dass das noch professioneller oder perfider funktioniert, sondern stärken die andere Seite.

Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Gramsch: In Lateinamerika etwa sind wir stark engagiert im Bereich der Stärkung von Bürgerradios, die es dort traditionell in großer Zahl gibt, die aber oft keine wirtschaftliche Perspektive haben, nicht professionell genug arbeiten, um mit privaten oder staatlichen Medien konkurrieren zu können. Ähnlich ist das in Afrika, wo in weiten Teilen das Radio nach wie vor das absolute Medium Nr. eins ist, aber oft staatlich dirigiert wird. In Myanmar beispielsweise begleiten wir sehr stark den Transformationsprozess. Dort ist die Gesellschaft so weit, dass sie zum Beispiel eine Rechtsberatung zulässt, die Schaffung von Rechtsstrukturen wie die Einrichtung eines Presserates, der Missstände anprangert, sowie eine Journalistenausbildung, die nicht nur von den Militärs gesteuert wird, sondern breit aufgestellt ist.

Für Bürgermedien oder Journalisten, mit denen die Akademie arbeitet, bleibt aber das Problem, dass sie für eine Arbeit geschult werden, die dem jeweiligen Regime möglicherweise nicht willkommen ist...
Gramsch: Das ist Teil unserer Verantwortung: Wir dürfen natürlich niemanden in eine Situation bringen, in der er sich selbst gefährdet durch das, was er tut. Deshalb ist es so wichtig, sich die jeweilige Situation genau anzuschauen.

Das setzt dem ambitionierten Leitthema der Akademie - Medienfreiheit schaffen, Menschenrechte voranbringen - Grenzen.
Gramsch: Im Moment haben sechs von sieben Menschen weltweit nicht die volle Freiheit der Meinungsäußerung oder des Informationszuganges. Deshalb haben die Vereinten Nationen ja das Thema Meinungs- und Medienfreiheit jetzt in den Katalog der Ziele für soziale Entwicklung aufgenommen. Die DW Akademie ist ein Instrument, um das umzusetzen. Und langsam wächst das Bewusstsein, dass sich gesellschaftliche Veränderungen nur erreichen lassen, wenn die Menschen die Möglichkeit haben, an dieser Veränderung aktiv teilzunehmen. Diese Möglichkeit die Menschen aber nur, wenn sie eine mediale Kompetenz haben.

Wo war die Akademie besonders erfolgreich, was ist fehlgeschlagen?
Gramsch: Ein Erfolgsbeispiel ist Tunesien. Dort hat bis in die Regierungsspitze die gesamte Gesellschaft verstanden, dass sich ihr Verständnis von einem medialen Miteinander verändern muss. Das begann bei der Stärkung von Bürgerradios und ging bis zum Präsidenten, der sich bei uns ein Medientraining geholt hat unter der Überschrift "Fairer und geregelter Umgang zwischen den Herrschenden und Journalisten". Anders Ägypten: Da haben wir alle gehofft, dass sich nach dem Sturz von Mubarak auch Medienfreiheit durchsetzt, doch das Gegenteil ist der Fall. Dort haben wir jetzt enorme Restriktionen bei unserer Arbeit, so dass wir gar nicht mehr das tun können, was wir eigentlich wollen. Die Ukraine liegt zwischen diesen Beispielen: Dort arbeiten wir im deutschen Auftrag daran, in einer schwierigen Situation den ehemaligen Staatsrundfunk zu einem öffentlichen Rundfunk zu transformieren.

Ist die Förderung von Medien und Medienkompetenz auch so etwas wie eine Waffe im Cyberkrieg, in dem auch die Terroristen des Islamischen Staates so aktiv sind?
Gramsch: Das könnte man noch erweitern: Ist Medienförderung auch ein Mittel gegen Propaganda à la Putin? Ist Medienförderung ein Werkzeug gegen Zensur à la China? Im Prinzip ja. Unsere Vorstellung ist ja, dass jeder Mensch auf diesem Planeten sein Recht auf freie Meinungsäußerung und freien Zugang zu Information wahrnehmen kann. Und wenn er das kann, wird er automatisch auch den Ehrgeiz haben, sein gesellschaftliches Umfeld zu gestalten und zu ändern. Insofern ist das mittelbar natürlich ein Beitrag gegen die Zustände, die ich gerade genannt habe.

Zur Person

Christian Gramsch (55) ist seit 2013 Direktor der Deutsche Welle Akademie. Zuvor war der Journalist unter anderem Programmdirektor der Deutschen Welle.

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