Energiewende Viele Stadtwerke in Not - SWB setzen auf Flexibilität

BONN · Kindergartenkinder sitzen auf klapprigen Stühlen, die Schlaglöcher auf den Straßen sind wahre Stolperfallen: Es gibt viele Bilder, die für die klammen Kassen der deutschen Kommunen stehen. Seit einiger Zeit hat sich die Situation noch verschärft.

Viele Städte, die in moderne Gaskraftwerke investierten, bleiben auf ihrem Strom sitzen. Sie schreiben Verluste mit den Anlagen, weil Sonnen- und Windenergie Vorrang im Netz haben. Von der Bundesregierung verlangen sie ein schnelles Handeln. Sonst sei die Versorgungssicherheit über kurz oder lang in Gefahr.

Das erste große Alarmsignal in Sachen Kommunalfinanzen gab es im Juli, als die Stadtwerke Gera Insolvenz anmeldeten. Auslöser war das örtliche Gaskraftwerk, das zu selten zum Einsatz kam. Dabei sind die Gewinne aus der Stromversorgung nicht nur in Gera nötig, um Löcher etwa bei den Verkehrsbetrieben zu stopfen.

So schlimm wie in Gera steht es um andere Kommunen nicht unbedingt, für Probleme sorgen ihre Energie-Investments aber schon. Einer Studie der Beratungsfirma PwC zufolge erreicht bei jedem vierten Energie- und Versorgungsunternehmen die Verschuldung einen kritischen Wert.

So will sich der Energieversorger Enervie in Hagen komplett aus der konventionellen Stromerzeugung zurückziehen. Allein in einem Jahr hatte der Kraftwerkspark dem Unternehmen einen Verlust von 50 Millionen Euro eingebrockt. Weil es in der Region jedoch nicht genügend gesicherte Leistung gibt, erlaubte die Bundesnetzagentur die Stilllegungen nicht sofort.

Sechs bis acht Jahre müssen die Anlagen noch laufen, teilte Enervie im Mai mit. Die Frage sei, wer die Betriebskosten bis dahin übernehme.

Ein anderes Beispiel ist das hessische Darmstadt, wo das eigene Gaskraftwerk den Stadtwerken statt sprudelnder Gewinne im vergangenen Jahr eine außerplanmäßige Abschreibung von 26,5 Millionen Euro einbrachte. Der Überschuss fiel entsprechend klein aus, die Dividende wurde gestrichen. Ulm hat wegen seiner Beteiligung an einem Kohle- und einem Gaskraftwerk Probleme.

Auch die Stadtwerke Bonn (SWB) räumen ein, dass sich mit der reinen Stromerzeugung aus dem gerade für knapp 90 Millionen Euro ausgebauten Heizkraftwerk Nord zeitweise kein Geld mehr verdienen lässt: "Im Sommer stand die Anlage schon mal tageweise still", sagt SWB-Chef Peter Weckenbrock.

Vorteil der Bonner: Das Kraftwerk ist sehr flexibel, die Turbinen und Öfen können sich aus Gas, Öl und Dampf - auch aus der Müllverbrennungsanlage - versorgen, und die Anlage produziert neben Strom auch Fernwärme. Für diese Kraft-Wärme-Kopplung gibt es hohe Zuschüsse: Rund 40 Millionen Euro, also fast die Hälfte der Baukosten, erwartet Weckenbrock als Rücklauf in den nächsten zehn Jahren.

Ob sich das Kraftwerk Nord auszahle, sei ohnehin nicht allein eine Frage des Strompreises, betont Weckenbrock. So seien die Baukosten am Ende zwar fast zehn Millionen Euro höher gewesen als veranschlagt. Gegenrechnen müsse man aber die Kreditzinsen, für die die SWB lediglich vier statt der erwarteten 6,5 Prozent aufbringen mussten. Der Strompreis liege zwar unter den Prognosen, ebenso aber auch der Preis fürs Gas, mit dem der Strom erzeugt wird.

Sorgen bereiten den Bonnern eher ihre Beteiligungen an den Kraftwerken in Hamm und Lünen, die rote Zahlen schreiben. Hierfür werden Rückstellungen gebildet, sagte Weckenbrock.

Das Engagement ist mit jeweils 15 Megawatt überschaubar. Zum Vergleich: Das Kraftwerk Nord bringt es auf 104 Megawatt elektrische Leistung.

Ausbauen will Weckenbrock die Fernwärmeversorgung und auch ins Fernkältegeschäft einsteigen. Dabei funktioniert die Fernwärme dann wie eine Klimaanlage. Eine Versuchsanlage wird demnächst auf dem Dach des Kraftwerks Nord installiert.

Insgesamt liefert die Energie und Wassersparte der SWB nach wie vor satte Gewinne: Gegenüber dem Vorjahr unverändert knapp 43 Millionen Euro standen im vergangenen Jahr unterm Strich, für dieses Jahr werden gut 41 Millionen Euro nach Steuern erwartet und ab 2016 rund 48 Millionen. Vor zehn Jahren standen am Jahresende erst gut 33 Millionen Euro zu Buche.

Wegen der sinkenden Rentabilität konventioneller Kraftwerke fordern die Energieversorger einen sogenannten Kapazitätsmarkt, auf dem nicht erst der produzierte Strom, sondern schon das Bereithalten von Kraftwerksleistung bezahlt wird. "Das wird früher oder später kommen", meint SWB-Chef Weckenbrock. Die Kosten dafür müssen dann wohl die Stromverbraucher zusätzlich zu den 23 Milliarden Euro jährlich für den Ausbau der erneuerbaren Energien zahlen.

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