Unternehmen in Königswinter Seit 100 Jahren bauen die Lemmerzwerke Stahlräder für Autos

Königswinter · Seit 100 Jahren bauen die Lemmerzwerke in Königswinter Stahlräder für Autos. Heute heißt das Unternehmen „Maxion Wheels“. Rund 100 mit Computern vernetzte Roboter verrichten in den Hallen jene harte körperliche Arbeit, die früher Menschen erledigten.

Funken sprühen: Blick in die Radproduktion von Maxion Wheels in Königswinter, das als Lemmerzwerke vor hundert Jahren gegründet wurde.

Funken sprühen: Blick in die Radproduktion von Maxion Wheels in Königswinter, das als Lemmerzwerke vor hundert Jahren gegründet wurde.

Foto: Frank Homann

Die rotbraunen Klinkerfassaden der ehemaligen Lemmerzwerke, die sich entlang der B42 in Höhe der Abfahrt Königswinter hinziehen, sind nur auf den ersten Blick ein Relikt von gestern. Die Patina der Industriebauten täuscht darüber hinweg, dass hinter den Mauern auf 86.000 Quadratmetern modernste Roboter Felgen und Schüsseln aus Stahl fertigen, die zu Rädern montiert in Pkw und Lkw aller gängigen Marken eingebaut werden.

„Das hier ist Industrie 4.0“, erklärt Ralf Sieberling, Produktionsmanager bei Maxion Wheels, wie das Unternehmen heute heißt, in dem die Lemmerzwerke 2012 endgültig aufgegangen sind. Sieberling deutet auf einen millimetergroßen QR-Code, der per Laser in einer Felge eingraviert ist. Damit kann jedes Bauteil zu seinem Ursprung zurückverfolgt werden.

Rund hundert mit Computern vernetzte Roboter verrichten in den Hallen jene harte körperliche Arbeit, die früher Menschen erledigten: So nehmen sie am Anfang des Produktionsprozesses mit Greifarmen die Felgenrohlinge aus der Maschine. Sie werden aus einem Stahlband geformt, das auf riesigen Trommeln wie eine Schnecke gewickelt angeliefert wird. „Die beziehen wir von den großen Herstellern, Thyssenkrupp, Arcor Mittal und anderen“, berichtet Sieberling. Das Material für die Radschüsseln kommt direkt von dem Warmwalzwerk nebenan, das früher zu Lemmerz gehörte und verkauft wurde.

Maxion Wheels feiert in diesem Jahr den 100. Geburtstag der früheren Lemmerzwerke. 1919 gründete der Großvater von Renate Kukwa-Lemmerz eine Fabrik zur Herstellung von Autorädern. „Er hatte zwei Brüder, die waren die Erfinder, mein Großvater war der Kaufmann in dem Unternehmen“, erzählt sie. Die Blütezeit kam nach dem Zweiten Weltkrieg, das westdeutsche Wirtschaftswunder bescherte auch Lemmerz volle Auftragsbücher. Mit dem Bau des Walzwerkes 1956 wurde Paul Lemmerz, der Vater von Kukwa-Lemmerz, der erste Radfabrikant weltweit, der seinen Stahl aus dem eigenen Unternehmen bezog.

Zu ihren Hochzeiten beschäftigten die Lemmerzwerke rund 3000 Menschen. Die Stahlkrise und der Aufschwung des Aluminiumrades machten auch dem Unternehmen vom Rhein zu schaffen. „Königswinter hat schwierige Zeiten gekannt. Dennoch  haben wir uns fortwährend auf die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit des Standorts konzentriert und konnten so Marktanteile dazu gewinnen. Damit sind wir heute besser aufgestellt für die Zukunft“, sagt Pieter Klinkers, Vorstandsvorsitzender von Maxion Wheels. Der Niederländer ist dort seit 2005 beschäftigt, seit 2015 in der Chefposition.

Die internationale Ausdehnung mit Produktionsstätten wie Spanien und Mexiko hatte bereits in den 1960er Jahren begonnen. Horst Kukwa-Lemmerz, der Schwiegersohn, setzte nach dem Tod von Paul Lemmerz 1977 die weltweite Gründung neuer Radfabriken beziehungsweise  Kooperationen in Form von Joint Ventures fort. Werke, die bis heute existieren, ob in der Türkei, Afrika, Brasilien, Kanada, Indien und Thailand. Wichtig war dabei immer, nah an den Autoproduzenten zu sein. Mangels eines Nachfolgers in der Familie entschied Horst Kukwa, die Lemmerz Holding GmbH mit dem US-Radhersteller Hayes Wheels zu fusionieren, ebenfalls ein weltweit bekanntes Traditionsunternehmen. 1997 hielt die Familie noch knapp ein Viertel an dem Konzern, 2012 folgte die Übernahme durch den brasilianischen Konzern Iochpe Maxion. Heute ist Renate Kukwa-Lemmerz nur noch ideell mit dem Werk verbunden.

Unter dem Namen Maxion Wheels gehört das Königswinterer Unternehmen heute zum größten Radproduzenten weltweit. An 24 Produktionsstätten in zwölf Ländern werden jährlich rund 58 Millionen Räder hergestellt, die Kapazitäten sind sogar für 80 Millionen Stück ausgelegt. Jedes achte Rad an einem Fahrzeug sei ein Produkt von Maxion Wheels. „Wir kaufen weltweit jährlich rund eine Million Tonnen Stahl und bis zu 170.000 Tonnen Aluminium“, berichtet Klinkers. 10.000 Beschäftigte zählt Maxion Wheels weltweit. In Königswinter befindet sich nicht nur das globale Entwicklungszentrum für Stahlräder. Seit 2017 ist auch die Konzernzentrale dort. In der deutschen Holding sind gut 100 Mitarbeiter beschäftigt, ein internationales Team mit 17 verschiedenen Nationalitäten. In der Produktion am Rhein arbeiten rund 400 Menschen.

In Königswinter, wo weiter ausschließlich Stahlräder hergestellt werden, hofft man, dass der Trend wieder mehr zu diesem Material gehen wird. Aluräder sind teurer als Stahlräder, sind aber leichter und sehen stylischer aus, weil das Gussverfahren mehr Formvarianten ermöglicht. Klinkers berichtet, dass Maxion Wheels in den vergangenen Jahren viele Millionen Euro sowohl in Prozess- als auch Produkttechnologien investiert habe, um gewichtsoptimierte Räder herstellen zu können, denn das spart am Ende auch Treibstoff beim Fahren. Produktionsmanager Sieberling zeigt in der Fabrik, wie weit das gehen kann: An der dünnsten Stelle misst der Stahl nicht einmal zwei  Millimeter. Im Ergebnis gibt es heute Stahlräder, die sogar leichter als Aluräder sind.

„Das Rad ist ein Sicherheitsteil“, so Klinkers. Geht der Motor kaputt, bleibt das Auto stehen, bricht ein Rad, wird es lebensgefährlich. Auch in der Entwicklung zum autonomen Fahren spielt das Rad eine zentrale Rolle. Schon heute sind Sensoren eingebaut, die etwa den Lkw-Fahrer über die Fahrzeuglast informieren. Die Information kann er auf dem Armaturenbrett ablesen.

 Viel wird sich in den nächsten Jahren in der Autoindustrie durch die Entwicklung neuer Antriebsformen ändern. Das stellt auch die Zulieferer vor große Herausforderungen. Entwicklungschef Ralf Duning sagt: „Das Gute daran ist: Auch Elektroautos haben Räder.“

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