Interview mit Pascale Ehrenfreund „Raumfahrt hilft uns zu überleben“

Bonn · Pascale Ehrenfreund, die Chefin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, spricht im Interview über ihre Forschung, die Anwendungen und Politik.

 Startschuss für Europas neue „Datenautobahn im All“: An Bord einer Proton-Rakete wird der erste Laserknoten des Europäischen Datenrelais-Systems (EDRS) ins All transportiert, das im DLR mitentwickelt wurde. Es gilt als Meilenstein in der Telekommunikation.

Startschuss für Europas neue „Datenautobahn im All“: An Bord einer Proton-Rakete wird der erste Laserknoten des Europäischen Datenrelais-Systems (EDRS) ins All transportiert, das im DLR mitentwickelt wurde. Es gilt als Meilenstein in der Telekommunikation.

Foto: DLR

Pascale Ehrenfreund ist seit einem halben Jahr Vorsitzende des Vorstandes des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit Hauptsitz in Köln-Port und zwei großen Bonner Standorten. Damit ist sie die erste Frau an der Spitze einer deutschen Großforschungseinrichtung. Welche Prioritäten sie beim DLR setzt, darüber sprach mit ihr Claudia Mahnke.

Würden Sie selbst gerne einmal in den Weltraum fliegen?
Pascale Ehrenfreund: Auf jeden Fall. Aber für mich ist der Zug abgefahren. Ich lasse unseren jungen Nachwuchswissenschaftlern den Vortritt.

46 Prozent der deutschen Männer und 25 Prozent der Frauen würden einer Umfrage zufolge gerne ins Weltall starten, wenn Geld keine Rolle spielt. Warum übt der Weltraum noch immer eine große Faszination aus?
Ehrenfreund: Menschen sind getrieben von Neugier und haben einen starken Pioniergeist. Wir wollen ferne Welten erkunden. Jedes Objekt im Weltraum, das wir mit den Möglichkeiten der Raumfahrt erreichen, hat neue, außergewöhnliche Dinge zu bieten. Das hat jüngst die Rosetta-Mission gezeigt, durch die wir sehr aussagekräftige Fotos und wissenschaftliche Daten des Kometen Tschurjumow-Gerassimenko bekommen haben. Wir lernen viel darüber, wie unser Sonnensystem und letztlich auch das Leben entstanden sind. Das sind grundlegende Fragen, die sich wohl jeder stellt.

Wann wird voraussichtlich der nächste Deutsche ins Weltall aufbrechen?
Ehrenfreund: Ganz sicher 2018. Der Name wird im Frühjahr von der Europäischen Weltraumagentur bekannt gegeben.

Warum ist die Raumfahrtforschung den milliardenschweren Mitteleinsatz wert?
Ehrenfreund: Uns ist oft gar nicht bewusst, wie abhängig wir von den Daten sind, die durch die Raumfahrt gewonnen werden. Satelliten beeinflussen unser Leben sehr stark. So sind sie für Navigationssysteme im Auto unabdingbar. Wetter- und Erdbeobachtungssatelliten sind für Vorhersagen und die Beobachtung des Klimawandels immens wichtig. Damit tragen wir zu den Lösungen für die globalen Herausforderungen bei, wie wir unseren Planeten erhalten können. Raumfahrt hilft uns zu überleben. Umgerechnet auf das Bruttoinlandsprodukt ist es außerdem gar nicht so viel, was wir für die Raumfahrt ausgeben.

Ende des Jahres soll entschieden werden, ob die Internationale Raumstation ISS über das Jahr 2020 hinaus finanziert wird. Wie beurteilen Sie die Chance, dass es weitergeht?
Ehrenfreund: Japan, die USA, Russland und Kanada haben sich bereits dafür ausgesprochen, dass es bis zum Jahr 2024 weitergehen soll. Wir Europäer entscheiden im Konsens im Dezember. Deutschland spielt eine wichtige Rolle bei der Finanzierung der Betriebskosten und beim wissenschaftlichen Programm. Wir haben jetzt auf Wunsch des Bundeswirtschaftsministeriums eine Kosten-Nutzen-Analyse erarbeitet. Darauf gibt es noch keine Resonanz. Die Wissenschaftler wollen auf jeden Fall weitermachen.

Haben Sie angesichts aktueller politischer Entwicklungen die Befürchtung, dass die Finanzierung anderer Aufgaben bevorzugt werden könnte?
Ehrenfreund: Natürlich können aktuelle Entwicklungen Einfluss auf zukünftige Entscheidungen haben. Auch gibt es immer Konkurrenz um öffentliche Mittel für die Wissenschaft. Wir haben aber in unserer Analyse aufgezeigt, welcher Nutzen zu erwarten ist. Die Politik wertet das aus und entscheidet dann.

Was halten Sie von privaten Raketenbauern wie SpaceX In den USA?
Ehrenfreund: Wir schauen ein bisschen neidisch auf die USA. Es sind Firmen, bei denen sich Milliardäre engagiert haben. Sie sind risikofreudiger als wir Europäer. Aber auch diese privaten Firmen bewerben sich um öffentliche Mittel. Das verstärkt die Konkurrenz. Die New Space Economy in den USA kann man in Europa nicht unbedingt kopieren, aber es könnten bei uns die Bedingungen für ein stärkeres privatwirtschaftliches Engagement verbessert werden.

Gibt es Leben auf dem Mars? Das ist eine weitere Frage, die Menschen fasziniert. Die europäisch-russische Mission ExoMars soll zur Antwort beitragen. Was steuert das DLR dazu bei?
Ehrenfreund: Das DLR arbeitet ja schon lange an Mars-Missionen. Am 14. März startet die erste Sonde von ExoMars. Es gibt ein kleines Landefahrzeug, das Sensoren des DLR trägt. Auch an der Kamera haben wir mitgearbeitet. Für 2018 ist der Start des ExoMars-Rovers geplant, der zwei Meter in den Marsboden bohren soll. DLR-Forscher arbeiten an der wissenschaftlichen Umsetzung mit. Das wird alles sehr spannend.

Sie waren auch schon in Österreich an der Schnittstelle zwischen Forschung und Management tätig. Was reizt Sie an dieser Aufgabe besonders?
Ehrenfreund: Es ist wichtig, dass sich die Wissenschaft in politische Entscheidungen einbringt. Dabei sind Bindeglieder zwischen beiden Welten nötig. Wir wissen, wie Raumfahrtmissionen oder die Mobilität in Zukunft ausgestaltet werden sollten. Zudem muss man eine Sprache sprechen, die Politiker verstehen. Das fasziniert mich an der Aufgabe.

Sie sind die erste Frau an der Spitze einer deutschen Großforschungseinrichtung. Gibt es Situationen, in denen Sie das merken?
Ehrenfreund: Nein, es ist ganz selbstverständlich. Ich versuche immer, konstruktiv zu denken und zu handeln.

Welche neuen Impulse wollen Siel beim DLR setzen?
Ehrenfreund: Wir sind beim DLR in fünf spannenden Forschungsbereichen tätig: Raumfahrt, Luftfahrt, Energie, Verkehr und Sicherheit. Von der Grundlagenforschung bis zur Produktentwicklung sind wir unsere eigene Innovationskette. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Diese Tätigkeitsbereiche wollen wir noch stärker miteinander verschränken. Außerdem wollen wir unsere Erkenntnisse der Bevölkerung nahe bringen, um sie stärker in unsere Arbeit einzubeziehen – Stichwort Citizen Science.

Wie stärkt man die Durchlässigkeit zwischen den Fachgebieten?
Ehrenfreund: Viele Forschungsergebnisse betreffen mehrere Fachgebiete. Wir haben aus der Aerodynamik Erkenntnisse, die wir auch in der Windkraft anwenden können. Auch alternative Antriebe brauchen wir in allen Fachgebieten.

Wie wird der Verkehr der Zukunft aussehen?
Ehrenfreund: Es ist noch ein weiter Weg, bis 2020 eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen sind. Um uns in diese Richtung zu bewegen, müssen alle zusammenarbeiten und weiterforschen. Dabei sind wir auch Partner der Industrie. Zudem spielt die Vernetzung der einzelnen Verkehrsträger ebenso eine wichtige Rolle, wie auch deren Nachhaltigkeit.

Das DLR ist an Forschungen beteiligt, die Flugzeuge verbessern sollen. Worum geht es?
Ehrenfreund: Es geht um die Verbesserung der Ökoeffizienz des Luftverkehrs, um geringere Schadstoffemissionen und geringeren Lärm. Damit haben wir einen klaren Bezug zur Gesellschaft. Dazu gehört auch, dass unsere Forschungsflugzeuge den Klimawandel in der Arktis studieren.

Wie sieht Ihre Arbeit angesichts der DLR-Standorte in 16 verschiedenen Städten praktisch aus?
Ehrenfreund: In den ersten sechs Monaten habe ich – bis auf einen – alle DLR-Standorte besucht, Neustrelitz kommt bald dran. Ich habe versucht, viele Mitarbeiter kennen zu lernen. Das ist sehr spannend. Und unsere DLR-Außenstellen in der Antarktis und Kanada fehlen noch (lacht). Außerdem sind die fünf anderen Vorstandsmitglieder und ich natürlich viel in Berlin, um politische Gespräche zu führen. Meine Aufgabe ist es, das DLR so zu positionieren, dass wir nicht nur in Deutschland einer der Innovationsführer bleiben.

Sie haben bereits in den Niederlanden, den USA und in Ihrem Heimatland Österreich gearbeitet. Was unterscheidet Deutschland von diesen
Staaten in Hinblick auf die Situation seiner Forscher?

Ehrenfreund: Im DLR arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirklich gerne. Es gibt viel Enthusiasmus bei den Forschern. In anderen Staaten gab es eher mal Beschwerden über fehlende Gelder oder knapper werdende Budgets. In Deutschland wird viel in die Forschung investiert. Das ist sehr gut.

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